Die Morgengabe
sind; wenn einer der
Partner zur Zeit der Eheschließung geistesgestört war, ohne daß der andere
davon wußte; wenn die Braut Nonne war.»
Quin wedelte ungeduldig mit der
Hand. «Sie ist nicht meine Schwester, sie ist keine Nonne, und sie ist auch
nicht geistesgestört, wenn man einmal davon absieht, daß sie mit Sack und Pack
einen Fluß durchschwimmen wollte, um von der Schweiz nach Frankreich zu
kommen. Also, was für Möglichkeiten gibt es noch?»
«Eine Ehe kann für nichtig erklärt
werden», sagte Proudfoot, der ein riesiges Minenfeld vor sich sah, mit
Widerstreben, «wenn sie nicht vollzogen wurde.»
«Das ist es!» rief Quin erfreut.
«Ich habe die Hochzeitsnacht im Korridor des Orient-Expreß zugebracht.»
«Das wirst du vielleicht beweisen
müssen.» Wieder machte sich Proudfoot eine Notiz, dann bemerkte er mit einem
zynischen Grinsen, Quin werde sich wohl eher der bewußten Weigerung schuldig
bekennen als des geschlechtlichen Unvermögens, die Ehe zu vollziehen. «Es gibt
da aber eine weitere Schwierigkeit.»
«Ja?»
«Du hast dieses Mädchen doch
geheiratet, um ihr die britische Staatsbürgerschaft zu sichern. Wenn du nun
aber die Ehe aufgrund von Umständen für nichtig erklären läßt, die bereits vor
der Eheschließung bestanden, kann es passieren, daß dem Mädchen die britische
Staatsbürgerschaft wieder aberkannt wird. Nichtvollzug der Ehe fällt zwar nicht
in diese Kategorie, aber wenn sie unter einundzwanzig ist, könnten wir Ärger
bekommen. Die Gesetze über die Einbürgerung Minderjähriger werden derzeit
revidiert, aber meiner Meinung nach wäre es unklug, einen Antrag auf
Nichtigkeitserklärung der Ehe zu stellen, solange ihr Status als britische
Staatsbürgerin nicht bestätigt ist und sie keinen eigenen Paß hat.»
Quin sah auf seine Uhr. «Hör zu,
Dick, tu, was du kannst, und tu's so schnell wie möglich. Das Mädchen ist noch
sehr jung, und sie ist in einen seelenvollen Konzertpianisten verliebt. Ach,
und schreib ihr doch bitte. Schreib ihr, daß wir uns bemühen, die Geschichte so
schnell wie möglich zu erledigen. Biete ihr deine Hilfe an, falls sie Hilfe
brauchen sollte, und berechne es mir. Ich halte es für das beste, wenn ich sie
nicht wiedersehe.»
«Es ist nicht nur das beste, es ist
absolut wesentlich», versetzte Proudfoot. «Wenn auch nur der geringste Verdacht
der Kollusion aufkommen sollte – das heißt, daß ihr beide in geheimem Einverständnis
seid –, wird euer Antrag auf der Stelle zurückgewiesen werden.»
«Du meine Güte! Es ist dem Staat
also lieber, wir gehen im Zorn auseinander als in gütlichem Einvernehmen?»
«Ganz recht», bestätigte Dick
Proudfoot.
11
Der Sommer 1938 war ein heißer Sommer. Das Pflaster
der Straßen in Belsize Park, Swiss Cottage und Finchley glitzerte, und den
Mülltonnen entstiegen erstickende Düfte. In den schlecht ausgestatteten Küchen
der Mietskasernen wurde die Milch sauer, und verendende Fliegen brummten
verzweifelt an klebrigen Fliegenfängern. Kinder wurden im Sportwagen den Hügel
hinauf nach Hampstead Heath geschoben, zum Picknick im versengten Gras oder zum
Planschen im Teich. In Spanien errangen Francos Faschisten einen Sieg nach dem
anderen; in Deutschland verschärfte Hitler seine Tiraden über den Sudetengau
und drohte den Tschechen. Mussolini begann nach Hitlers Vorbild gegen die Juden
vorzugehen, wenn auch nicht mit der gleichen Effektivität.
Die Briten hätten es vulgär
gefunden, sich vom wütenden Gegeifer schlecht erzogener Ausländer bei ihren
Sommerfreuden stören zu lassen. In den Parks wurden Gräben ausgehoben;
Flugblätter mit Instruktionen über die Ausgabe von Gasmasken wurden verteilt;
die Flotte war in Bereitschaft. Aber die Reichen reisten ohne ein Zeichen der
Erschütterung zur Moorhuhnjagd aufs Land oder zur Sommerfrische in ihre Häuser
an der See. Die Armen blieben in der Stadt wie immer und sonnten sich auf der
Treppe vor dem Haus oder im winzigkleinen Gärtchen.
Die Flüchtlinge waren arm und
blieben in der Stadt.
Nach Ruths glücklicher Ankunft
konnte die Familie Berger endlich den Versuch machen, ein halbwegs normales
Leben zu führen. Kurt Berger ging jetzt jeden Morgen mit seiner Aktentasche
unter dem Arm in die öffentliche Bibliothek. Dort saß er zwischen Dr. Levy und
einem Landstreicher mit Löchern in den Schuhen, der täglich zum Zeitunglesen
kam, und verbarg vor Leonie und zum Teil auch vor sich selbst die Gewißheit,
daß sein Buch ohne die Unterlagen und
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