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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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Gäste auf und gingen, doch die drei Männer, die die Familie
aus Wien kannten, blieben noch eine Weile sitzen.
    «Persephone ist also zurückgekehrt»,
sagte der Schauspieler.
    Dr. Levy nickte, aber sein Gesicht
war traurig, und die beiden anderen tauschten einen Blick. Dr. Levy hatte eine
Persephone eigener Art: ein flachsblondes, blauäugiges, dummes junges Ding, das
er trotz allem liebte. Hennie hatte dem prominenten Spezialisten, den sie als
Lernschwester angehimmelt hatte, mit Freuden ihr Jawort gegeben; nun aber
schien sie es gar nicht eilig zu haben, das Exil mit ihm zu teilen.
    «Wollen wir nicht zur Feier des
Tages etwas unternehmen?» meinte Ziller, dem es nicht gut erschien, Dr. Levy
jetzt einsam und allein zurückzulassen.
    «Wir können ja mal sehen, was
läuft», schlug von Hofmann vor.
    Es lief, wie sie feststellten, als
sie den Platz überquert und den Weg den Hügel hinauf zum Odeon genommen hatten,
ein Film mit Fred Astaire und Ginger Rogers – und ohne weitere Beratung traten
die drei distinguierten Herren, obwohl keiner von ihnen es sich leisten konnte,
in den Kinosaal – und ins Paradies – ein.
    Während drüben in der Küche des Willow Miss Maud und Miss Violet ihre Bewertungen abgaben.
    «Ein sehr wohlerzogenes junges
Mädchen», sagte Miss Maud. «Sie hätte Vater gefallen», sagte Miss Violet.
    Höheres Lob gab es nicht, doch das
letzte Wort hatte, wie so oft, Mrs. Burtt.
    «Und zum Anbeißen hübsch.»

10
    Wenn Quin nicht in Bowmont oder auf Reisen war,
lebte er in London in einer Wohnung am Chelsea Embankment. Sie befand sich in
der ersten Etage eines Queen-Anne-Hauses und hatte einen schmiedeeisernen
Balkon, der über die Zweige eines Maulbeerbaums hinweg zur Themse
hinausblickte. An den Wänden des Wohnzimmers standen überquellende
Bücherregale, über dem offenen Kamin hing ein Aquarell von Constable,
Perserteppiche lagen auf dem Parkett. Aber niemand,
der Quin besuchte, schenkte je der Einrichtung mehr als flüchtige Beachtung;
jeder, ohne Ausnahme, ging schnurstracks zur Balkontür und blieb dort stehen,
um den weiten Blick auf das Flußpanorama zu bewundern.
    «Du lebst immer irgendwo am Wasser,
nicht wahr, Darling?» hatte eine Frau einmal zu Quin gesagt. «Dr. Freud läßt
grüßen, meinst du nicht?»
    Quin meinte nicht. Er lebte am
Embankment, weil er Chelsea mochte; die kleinen Läden in den Straßen, die sich
vom Fluß heraufzogen – Lebensmittelhändler, Schuster und Rahmenmacher; die
Pubs, in denen auch heute noch die Themseschiffer ihr Bier tranken. Und wenn er
auch nicht mit einem Boot zu seinen Vorlesungen und Seminaren an der
Thameside-Universität fuhr, so freute ihn doch die Vorstellung, daß er es hätte
tun können.
    Bedient und versorgt wurde Quin in
seiner Stadtwohnung von Lockwood, der früher Butler in Bowmont gewesen war.
Dieser Posten als Quins Faktotum war eigentlich unter Lockwoods Würde, aber er
fühlte sich für Quin schon seit jenem Tag verantwortlich, als der Achtjährige
seine ersten Funde vom Strand heraufgeschleppt und die Einrichtung des
«Somerville-Museums für Naturgeschichte» in den Stallungen von Bowmont befohlen
hatte. Nicht daß er seinem Schützling und Arbeitgeber deswegen besondere
Liebenswürdigkeit gezeigt hätte. Er war ein großer, hagerer Mann mit dem
Schädel eines Neandertalers und schlammbraunen Augen, und es gab genug Leute,
die behaupteten, Quin sei nur deshalb noch immer nicht unter der Haube, weil Lockwood
alle Mrs. Somervilles in spe zerstückelt und die Einzelteile in die
Themse geworfen habe.
    Quin kam mitten am Nachmittag nach
Hause, nachdem er Ruth in Belsize Park abgesetzt hatte. Obwohl er mehr als fünf
Monate weg gewesen war, begrüßte Lockwood ihn mit nüchterner Gemessenheit.
    «Ich habe Sie in der Wochenschau
gesehen», bemerkte er und trug Quins Koffer ins Schlafzimmer.
    Die Möbel glänzten wohlgepflegt, die
Post war in ordentlichen Häufchen gestapelt, in den Vasen standen frische
Blumen, und als Quin es sich bequem gemacht hatte,
kam Lockwood mit dem Teetablett und einer Platte warmer Brötchen.
    «Essen Sie heute abend zu Hause?»
Mit seinem Abschied aus Bowmont hatte Lockwood auch die stets korrekte, stets
servile Haltung des besseren Hausangestellten abgelegt und behandelte Quin
jetzt eher wie einen unberechenbaren, aber begabten Neffen.
    «Ja, Lockwood. Sollte das zufällig boeuf
en daube sein, was ich da rieche?»
    Lockwood nickte grinsend, und Quin,
der wußte, daß er den Mann, der ein begeisterter

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