Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
Vom Netzwerk:
brauchte
Hustenpastillen, oder an der Teekanne war der Schnabel abgebrochen. Obwohl sie
sich in diesen langen heißen Sommerwochen nichts für sich selbst leistete, kein
Haarband, nicht einmal ein Eis an den glühendsten Tagen, blieb das Häufchen
Münzen auf dem Grund des Marmeladenglases jämmerlich klein.
    So freudig sie jeden von Heinis
Briefen herumzeigte, so geheim hielt sie die Post, die sie in ihrem Schließfach
von Mr. Proudfoot empfing. Mr. Proudfoot hatte es für angebracht gehalten, sie
über die Voraussetzungen für eine Nichtigkeitserklärung ihrer Ehe eingehend zu
informieren, und Ruth fand die Bedingungen bestürzend.
    «Wißt ihr wirklich ganz genau, daß
es in unserer Familie keine Geisteskrankheit gibt?» fragte sie ihre
verwunderten Eltern. «Was ist mit Großtante Miriam?»
    «Zu glauben, der Kaiser sei der
wiedergeborene Tut-ench-Amun mag exzentrisch sein, aber von Geisteskrankheit
kann man da gewiß nicht sprechen», erklärte ihr Vater mit Entschiedenheit.
    Doch wenn auch die unmittelbaren
Aussichten auf eine Annullierung ihrer Ehe düster waren, so setzte sich Mr.
Proudfoot wenigstens energisch für eine Bestätigung ihrer britischen Staatsbürgerschaft
ein, sandte ihr Formulare in frankierten Umschlägen und betonte immer von neuem
seine Bereitschaft, ihr zu helfen. Von Quin selbst hörte sie nichts, aber sie
hatte nichts anderes erwartet und war nicht enttäuscht darüber.
    Als es Mitte August wurde, begann
die tschechische Krise die Zeitungen zu beherrschen. Hitler wurde immer
dreister; Bilder der Wochenschau zeigten ihn, wie er, den Arm um Mussolini
gelegt, umherstolzierte oder mit geballter Faust jedem drohte, der es wagte,
sich in osteuropäische Belange einzumischen. Kabinettsminister ließen die
Moorhühner Moorhühner sein und begannen, zwischen London und Paris, zwischen
Paris und Berlin hin- und herzureisen. Die Tschechen baten um Beistand.
    Die nunmehr dringlicher betriebenen
Kriegsvorbereitungen Englands bekamen die Leute von Belsize Park auf
unterschiedliche Weise zu spüren. Mrs. Weiss schaute
mit offenem Mund zu einem großen grauen Sperrballon hinauf, der über ihr
schwebte, sagte: «Mein Gott, was ist denn das?», stolperte über eine Unebenheit
auf dem Bürgersteig und wurde mit aufgeschlagener Nase ins Krankenhaus
gebracht. Onkel Mishak, der an einem Plakat vorüberkam, das ihn aufforderte,
Ruhe zu bewahren und fleißig zu graben –Keep Calm and Dig –, tat genau
das und legte hinter dem Haus einen kleinen Gemüsegarten an. Im Willow brütete
Miss Maud mit gefurchter Stirn über die Anweisung zur Errichtung eines
Fertig-Luftschutzbunkers und erhielt viele gute Ratschläge von ihren männlichen
Gästen, die vorgaben, die Instruktionen zu verstehen. Mrs. Burtt trällerte beim
Abspülen kein Liedchen mehr, da ihr Sohn Trevor für die Air Force tauglich
geschrieben worden war, und Dr. Levy wurde, obwohl er ausdrücklich darauf
hinwies, daß er als Arzt nicht zugelassen war, in ein Nachbarhaus geholt, um
bei einem Mann mit schwachem Herzen, dessen Ehefrau sich den zweifelhaften Spaß
erlaubt hatte, mit Gasmaske ins Bett zu kommen, Erste Hilfe zu leisten.
    Ruth geriet angesichts der Krise in
helle Panik. Sie leerte das Marmeladenglas und schickte verzweifelte Telegramme
nach Budapest, aber Heinis Papiere waren, auch wenn sie jeden Moment erwartet
wurden, immer noch nicht gekommen. Trotz aller Sorge jedoch beschäftigte Ruth
in diesen Tagen noch eine andere Frage, deren Beantwortung sie bei Miss Maud
und Miss Violet suchte, die sich als Generalstöchter im Militärwesen eigentlich
auskennen mußten.
    «Würde man jemanden, der dreißig
oder vielleicht etwas darüber ist, auch noch einziehen?»
    «Nur wenn der Krieg sehr lange dauern
würde», antwortete Miss Maud.
    In diesen dunklen Tagen erhielt Ruth
eine Nachricht, die sie unter normalen Umständen tief enttäuscht hätte. Das
University College hatte ihren Studienplatz in Zoologie an einen anderen
Flüchtling vergeben und konnte sie für das kommende Jahr nicht mehr
berücksichtigen.
    «Es war alles ein Mißverständnis»,
sagte sie, den Brief zeigend. «Als ich damals nicht mit dem Studententransport
hier ankam, haben die Quäker der Universität Bescheid gesagt, und es gab so
viele andere Bewerber, daß sie von denen jemanden genommen haben. Sie wollen
jetzt versuchen, mich an einer anderen Universität unterzubringen, aber große
Hoffnung können sie mir nicht machen, weil es schon so spät ist.»
    Nach der ersten

Weitere Kostenlose Bücher