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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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zu lassen.«
    Sie trank die Honigmilch aus, stellte den leeren Becher hin, langte nach der Decke, die zusammengefaltet auf der Rücklehne des Sofas lag, streckte sich auf den weichen Kissen aus und deckte sich zu, um nicht zu frieren, wenn das Feuer ausging. Die Muschelsucher würden ihr Gesellschaft leisten, ihren Schlaf bewachen, auf sie hinunterlächeln. Sie dachte an den Traum, dachte an Papas Worte: Eines Tages werden sie kommen, um die Alarme der Sonne und die Farbe des Windes zu malen. Sie schloß die Augen. Ich wäre gern noch einmal jung.

Im Sommer 1943 hatte Penelope Keeling genau wie die meisten anderen Leute das Gefühl, der Krieg würde nie mehr aufhören, sondern für immer weitergehen. Es war ein entmutigender Kreislauf von Schlangestehen und Verdunkelung, unterbrochen von kurzen Visionen des Schreckens oder der vergeblichen Tapferkeit - wenn britische Schlachtschiffe draußen auf dem Ozean von Torpedos versenkt wurden, wenn alliierte Truppen den Rückzug antreten mußten oder wenn Mr. Churchill an die Rundfunkmikrofone trat, um ihnen allen zu versichern, daß sie Großartiges leisteten. Es war wie in den letzten beiden Wochen vor der Geburt eines Kindes, wenn man sich auf einmal einbildet, das Kind würde nie kommen, und man würde den Rest seines Lebens aussehen wie die Albert Hall. Oder wie in der Mitte eines sehr langen, in sich gekrümmten Eisenbahntunnels, wenn man das strahlende Licht des Tages hinter sich gelassen hatte und den winzigen Lichttupfen am anderen Ende noch nicht sah. Es würde irgendwann kommen. Niemand hatte den geringsten Zweifel daran. Aber vorerst war alles ein Dunkel. Man tappte einfach weiter, mit kleinen, zögernden Schritten, von einem Tag zum nächsten, um die Seinen zu ernähren und warm zu halten und dafür zu sorgen, daß die Kinder heile Schuhe hatten und daß der Organismus von Cam Cottage keinen irreparablen Schaden erlitt.
    Sie war dreiundzwanzig, und manchmal dachte sie, daß es außer des Films, den das kleine Kino unten im Ort die nächsten Wochen über zeigen würde, nichts mehr gab, worauf sie sich freuen könne. Ins Kino zu gehen war für sie und Doris zum Kult geworden. Doris nannte es nur Kintopp, und sie verpaßten keinen einzigen Streifen. Sie sahen sich vollkommen unkritisch alles an, nur um der Eintönigkeit ihrer Existenz für ein paar Stunden zu entrinnen. Wenn sie nach dem Film pflichtschuldigst aufgestanden waren und der knackenden Schallplatte mit God Save The King gelauscht hatten, traten sie aufgeregt wie kleine Kinder oder aber den Tränen der Rührung nahe - je nachdem, was für einen Film sie gesehen hatten - auf die stockdunkle Straße hinaus und gingen Arm in Arm, dann und wann leise kichernd, nach Hause und stolperten mehr als einmal über hohe Bordsteine, wenn sie die nur von den Sternen beleuchteten steilen Gassen zum Hügel hochgingen.
    Wie Doris jedesmal bemerkte, war es eine nette Abwechslung. Das stimmte. Eines Tages, nahm Penelope an, würde dieses graue Zwielicht des Krieges zu Ende sein, aber es war kaum zu glauben und schwer vorstellbar. Steaks und Orangenmarmelade kaufen zu können, keine Angst vor den nächsten Nachrichten im Radio zu haben, das Licht aus den Fenstern in die Dunkelheit fluten zu lassen, ohne sich vor einem verirrten Bomber oder den heftigen Vorwürfen Colonel Trubshots zu fürchten. Sie dachte daran, Frankreich wiederzusehen und in den Süden zu fahren zu den Mimosensträuchern und der heißen Sonne. Und Kirchturmglocken, die endlich wieder läuteten, aber nicht, um vor der Invasion zu warnen, sondern zur Feier des Sieges.
    Sieg. Die Nazis besiegt und Europa befreit. Kriegsgefangene würden aus all den Lagern in Deutschland zurückkommen. Soldaten würden demobilisiert werden, Familien wieder vereint sein. Letzteres war Penelopes geheime Crux. Andere Frauen beteten um die wohlbehaltene Rückkehr ihrer Männer und lebten dafür, aber Penelope wußte, daß es ihr nicht viel ausmachen würde, wenn sie Ambrose nicht wiedersähe. Das war nicht herzlos, es lag einfach daran, daß ihre Erinnerungen an ihn im Laufe der Monate immer mehr verblaßt waren, bis er zuletzt ein lästiger Schemen wurde. Sie wollte, daß der Krieg zu Ende ging - nur ein Verrückter würde etwas anderes wollen - , aber sie freute sich nicht darauf, mit Ambrose, ihrem Mann, den sie kaum kannte und fast vergessen hatte, wieder von vorn anzufangen und etwas aus ihrer übereilt geschlossenen Ehe zu machen.
    Wenn sie besonders deprimiert war, stahl

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