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Die Muse des Mörders (German Edition)

Die Muse des Mörders (German Edition)

Titel: Die Muse des Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Wedler , Nadine d'Arachart
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den Flur. Zu ihrer Linken befanden sich ihr Arbeitszimmer, das Bad und Lucys Zimmer. Aus keinem der Räume drang ein Laut. Rechts führte eine Eichenholztreppe hinab in die Diele, doch auch auf dieser Seite war alles still. Ratlos wandte sie sich wieder dem Schlafzimmer zu. Das Geräusch hatte geklungen, als wäre jemand mit einer Gabel über einen Teller gefahren. Alle Härchen an ihrem Körper hatten sich aufgestellt. Es gab jedoch nichts hier im Raum, das dieses Kratzen verursacht haben konnte. 
    Sie tappte zurück zum Bett und wollte sich gerade wieder hinlegen, als sie es erneut hörte. Schnell drehte sie den Kopf zum Fenster. Es war eindeutig von dort gekommen. Zögernd machte sie ein paar Schritte auf das Rechteck aus silbrigem Licht zu und spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. Es gab keine Feuerleiter an ihrem Haus und nicht einmal einen Baum in erreichbarer Nähe, an dem jemand hätte heraufklettern können. Was kratzte nachts an ihrem Fenster, wenn nicht ein Betrunkener, der sich einen Scherz erlaubte, oder eine streunende Katze, die sich verlaufen hatte? Sie zwang sich zur Ruhe, packte mit beiden Händen die Gardinen, zog sie zur Seite und sah hinaus. 
    Der kleine, mit Kopfsteinpflaster bedeckte Platz lag völlig still unter ihr. Die Bar, die sich über die rechte Seite erstreckte, hatte geschlossen und auch in den Nachbarhäusern brannte nirgends Licht. Ein Blick auf den Digitalwecker neben ihrem Bett bestätigte ihr, dass es bereits nach drei war. Die Geisterstunde war lange vorbei. Sie horchte auf ihren Herzschlag, der sich langsam wieder beruhigte, dann gab sie sich einen Ruck und öffnete das Fenster. 
    Was sie sah, ließ sie mit einem Schrei zurückweichen. Ein Teil von ihr brüllte sie an, einfach das Fenster zu schließen, doch sie war wie gelähmt. Jemand hing an der Fassade ihres Hauses und krallte seine knochigen Finger in den Efeu. Sie wagte nicht, einen Schritt nach vorn zu machen, doch wer auch immer es war, hatte sie längst bemerkt. Eine Hand löste sich aus dem Grün und streckte sich ihr entgegen. Die Finger wirkten zu lang und zu dünn, die Haut war totenbleich, fast grau. Die Hand reckte sich noch ein Stückchen weiter in ihr Schlafzimmer. Für einen Moment glaubte Madeleine, dass es der Tod persönlich war, der sie hinaus in die windstille Septembernacht zerren wollte, dann verlor die andere Hand den Halt.
    Ihr war es, als hörte sie ein Flehen. Offensichtlich brauchte jemand Hilfe. Sie musste aufhören, so hysterisch zu sein, doch sie wagte immer noch nicht, nach vorn zu treten und ihre eigenen Finger auszustrecken. Ihr rasendes Herz bestärkte sie in ihrer Angst. Vielleicht war es ein Verbrecher, ein Verrückter, der an den Ranken hinaufgeklettert war, um ihr etwas anzutun. 
     Bevor sie auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, war es zu spät. Die Hände verloren endgültig den Halt. Für einen Moment war es totenstill, dann schlug der Körper mit einem dumpfen Knall und dem Geräusch zerberstender Knochen auf den Granit. 
     
    Madeleine schreckte auf und starrte den leuchtenden Monitor an. Der Cursor blinkte hinter dem letzten Absatz, den sie geschrieben hatte, ehe sie eingenickt war. Der Arm, auf dem ihr Kopf geruht hatte, kribbelte und ihre Armbanduhr hatte einen spürbaren Abdruck auf ihrer Wange hinterlassen. 
    Sie richtete sich ganz auf und atmete durch. Der Albtraum steckte ihr noch in den Knochen und alles in ihrem Arbeitszimmer wirkte düster und fremd. Sie verabscheute diesen Traum. Wann immer ihr das Bild der verzweifelt ausgestreckten Hand im Schlaf erschien, verhieß es nichts Gutes. 
    Zum ersten Mal hatte der Albtraum sie 1945 heimgesucht. In der Nacht, bevor ihre Eltern in den Trümmern des Philipphofes ums Leben gekommen waren. Ihre Überreste ruhten noch heute dort, zu gefährlich war damals die Bergung aus den zerbombten Mauerresten gewesen. Wer heutzutage den Platz vor der Albertina überquerte, ging wortwörtlich über Leichen. Sie schauderte, denn die Vorstellung trug nicht gerade dazu bei, die unheimliche Spannung zu lösen. Um sich abzulenken, fixierte sie den Text auf dem Monitor ihres Computers und las über die letzten Sätze, die sie vor ihrem Nickerchen aufs digitale Papier gebracht hatte.
    Der Wind bauscht ihr Haar auf und verschleiert ihren Blick. Noch immer starrt sie den leeren Gleisen hinterher, auch wenn sie weiß, dass er längst fort ist. Sie hat ihn nicht aufhalten können, doch sie wird jeden Tag auf seine Rückkehr hoffen,

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