Die Muse des Mörders (German Edition)
traumatischen Geschehnissen der letzten Woche. Es tat Madeleine leid, noch weiter in ihn zu dringen, aber ihr Wunsch danach, endlich alle Rätsel gelöst zu wissen, war größer als ihr Mitgefühl.
»Eines verstehe ich noch nicht ganz, Oliver. Was hatte es mit diesem Kästchen auf sich?«
Oliver blickte auf. Er war bleich und machte einen erschöpften Eindruck. Vielleicht war er zu tief in die seelischen Abgründe seines Meisters eingetaucht.
»Wie gesagt, ich hatte bei René immer das Gefühl, dass er zwei Seiten hat. Der Teil von ihm, der sich nicht komplett und total diesem dunklen Stern untergeordnet hatte, hatte noch einen letzten Rest Unrechtsbewusstsein. Dieser Teil wusste, dass es nicht in Ordnung war, was er tat. Ich glaube, er hat sich mit diesem Wissen ziemlich gequält.«
Madeleine schloss kurz die Augen.
»Als ich dann beim Literatursalon gesagt habe …« Sie brach ab. Nach Olivers Erzählung konnte sie sich ausmalen, was ihre Worte bei dem geistesgestörten Goldschmied bewirkt hatten.
»Es kam ihm vor, als hättest du alles, was er tut, mit deinen Worten gerechtfertigt.« Oliver nickte. »Er wollte, dass ich den Artikel lese. Er sagte, dass ihm Gott durch dich klarmachen wollte, dass es einen Sinn hatte, was er machte.«
»Unglaublich.«
»Darum sollte ich dir in jener Nacht die Schatulle bringen. Er wollte sich bedanken, aber außer seinem Schmuck hatte er nichts zu geben. Er hat diesen Brief geschrieben, nicht ich.« Oliver atmete durch. »Es fühlte sich aber wie ein Wink des Schicksals an, dass du nun Teil dieses Wahnsinns warst. Ich dachte, dass das kein Zufall sein konnte. Ich dachte an meine Kindheit zurück und wie nah wir uns standen. Ich wollte dich um Hilfe bitten. In dieser Nacht.«
»Warum hast du denn nicht angerufen? Oder …«
Wieder schüttelte Oliver den Kopf.
»Ich konnte kein Risiko eingehen. Er misstraute mir und ließ mich kaum aus den Augen. Auch als ich dir den Schmuck bringen sollte, wartete er ungeduldig auf meine Rückkehr.«
»Ach, Oliver!« Madeleine legte die Hand an die Scheibe. »Es tut mir so leid.«
Er lächelte leicht.
»Du kannst nichts dafür. Du hattest ja keine Ahnung.« Jetzt, wo er sich seine Schuld von der Seele geredet hatte, wirkte er nicht mehr ganz so angespannt.
»Was war mit der zweiten Nachricht? Die stammte doch von dir.«
Oliver atmete tief durch und trank einen weiteren Schluck.
»An diesem Tag, als du ihn zu dir gerufen hast … Du hast es vielleicht nicht gemerkt, aber du hast ihn wirklich verletzt, Madeleine. Ich weiß nicht genau, was du über sein Geschenk gesagt hast, aber es gefiel ihm nicht. Ich konnte ihn nicht einschätzen. Beim Abendessen machte er ein paar merkwürdige Äußerungen und ich dachte …« Oliver sah sie an. »Ich dachte, er nutzt seinen Ärger über dich vielleicht, um sich diesen Schmuck ein zweites Mal zurückzuholen. Darum wollte ich dich warnen. Den ganzen Tag habe ich dich erwartet, aber du kamst und kamst nicht.«
»Ich wurde aufgehalten.«
»Spielt keine Rolle. Wirklich nicht, aber als er dann nachts loszog …«
Sie schluckte.
»Hast du ihn umgebracht? Um dich von ihm zu befreien?«
Oliver sah sie entgeistert an.
»Nein. Ich habe Dinge getan, die falsch waren, aber ich habe niemanden umgebracht. Du musst mir einfach glauben.«
Er wurde von irgendetwas abgelenkt und blickte zur Tür. Auch Madeleine nahm die schweren Schritte auf dem Flur wahr, die schnell näherkamen.
»Du musst der Polizei alles erzählen, was du mir erzählt hast, Oliver. Nur dann hast du eine Chance.«
Oliver schüttelte heftig den Kopf.
»Nein. Das kann ich Marie nicht antun.«
»Sie wird damit fertigwerden.«
»Nein, das wird sie nicht. Ihr geliebter Vater war Wiens schlimmster Mörder, sein Andenken wird in den Dreck gezogen werden und mit viel Pech kommt auch noch ans Licht, dass er wegen ihr, wegen unser Liebe angefangen hat zu töten.«
Bevor sie antworten konnte, flog die Tür neben Madeleine auf und Dominik Greve stürmte in den Besucherraum.
»Das Gespräch ist hiermit beendet.« Sowohl Madeleine als auch Oliver blickten erschrocken zu ihm auf, doch Greve zeigte sich unbeirrt. »Sie glauben anscheinend, Sie können uns für dumm verkaufen.« Er knallte ein Dokument vor ihr auf den Tisch. »Sie hätten uns sagen müssen, dass Sie so etwas wie die Großmutter des jungen Mannes sind, dann hätte dieses Treffen nie unter vier Augen stattgefunden.«
Oliver starrte erst den
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