Die Muse des Mörders (German Edition)
eigenartige Geräusche. Zuerst konnte ich sie nicht einordnen, ein Scharren und Schnaufen, dann ein ersticktes Keuchen. Ich lief weiter, dachte an die unwahrscheinlichsten Dinge. Ein Obdachloser, der im Schlaf Laute von sich gab, oder eine Ratte. Doch dann hörte ich etwas, das eindeutig wie ein gedämpfter Schrei klang, und lief schneller.
Ich bog um die Ecke und entdeckte am Ende der Gasse, vor den Lichtern der Mariahilfer Straße, zwei miteinander ringende Männer. Einer davon, deutlich größer und dem anderen überlegen, trug einen schwarzen Mantel und hielt den Kleineren erbarmungslos im Würgegriff. Der andere strampelte mit den Beinen. Ich wollte ihm helfen, rannte los, da sah ich, wie der Größere einen Dolch hochriss und ihn dem anderen zwischen die Rippen rammte. Einfach so. Das Geräusch war unbeschreiblich, ein feuchtes Knacken und Bersten. Mir wurde schlecht. Ich zwang mich, normal weiterzuatmen, und näherte mich langsam. Das alles kam mir wie ein Traum vor, wie ein Scherz, aber nicht wie die Realität.
Der Mörder ging neben dem Sterbenden in die Hocke und durchsuchte seine Taschen. Ich kam nun noch vorsichtiger näher. Ich wusste nicht, wie, aber ich dachte, dass ich dem anderen vielleicht noch helfen konnte. Ich war so nah dran, dass ich seine rasselnden letzten Atemzüge hören konnte. Es stank nach Kotze und Fäkalien. Der Dolchstoßmörder sprach leise mit jemandem. Da erkannte ich ihn. Es war, als hätte mir jemand mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen. Seine Stimme, seine sicheren Bewegungen. Es gab keinen Zweifel.
»Er hätte ja woanders kaufen können«, sagte er. »Er ist ja selbst schuld.«
Er zog ein Kästchen aus der Innentasche des Mannes, der jetzt nicht mehr atmete. Ich wollte nicht glauben, was ich da sah. Das Kästchen stammte aus unserem Geschäft. Er öffnete es und betrachtete den Schmuck darin. Es waren ein Collier und ein paar Ohrringe. Die Brillanten funkelten im Licht der Geschäfte.
»Weißt du, das ist wirklich das Beste, das ich je gemacht habe.« Er lachte und wischte sich mit einer behandschuhten Hand durchs Gesicht.
Ich hoffte immer noch, dass alles nur ein Traum war. Dass mir meine Fantasie einen bösen Streich spielte. Von mir aus auch, dass ich selbst verrückt geworden war. René steckte das Kästchen ein, dann machte er seinen Dolch an dem Toten sauber und ließ die Waffe ebenfalls verschwinden. Jede seiner Handlungen war routiniert und präzise. Er tötete, wie er arbeitete. Ich konnte nichts tun, außer dazustehen und ihn anzustarren. Er stand auf und da entdeckte er mich. Wir sahen einander an. Er taumelte einen Schritt zurück und als ich in sein Gesicht sah, erschrak ich. In seinen Augen war nichts Menschliches mehr. Ich hörte mich selbst seinen Namen sagen, doch ich drang nicht zu ihm durch. Blitzschnell zog er seine Waffe wieder hervor und erst da verstand ich, was hier los war. René Kardos war unterwegs, um zu töten, und ich hatte mich gerade selbst auf seine Liste gesetzt.
Ich weiß nicht, wie lange ich vor ihm davonrannte. Ein paar Mal dachte ich, dass ich ihn abgehängt hatte, aber er tauchte immer wieder auf und während mir langsam die Luft ausging, wurde er immer schneller. Ich habe keine Ahnung, was für Kräfte ihn antrieben, aber sie trieben ihn erbarmungslos näher. Er erwischte mich ein paar Meter vor der U-Bahn-Station Zieglergasse. Seine Wut war unbeschreiblich. Ich bin kein Schwächling, aber ich konnte nichts gegen ihn ausrichten. Ich war mir sicher, dass er mich töten würde, aber kurz bevor er zustieß, veränderte sich sein Blick. Ich glaube, dass ich es Marie verdanke, noch am Leben zu sein. So irr ihr Vater auch war, er brachte es nicht übers Herz, ihren Freund zu töten. Für einen Augenblick glaubte ich, etwas wie Erkenntnis, Trauer und Schmerz in seinen Augen zu sehen, dann verhärtete sein Blick sich wieder.
»Hol deine Sachen, du ziehst wieder bei uns ein«, sagte er.
Ich verstand ihn zuerst nicht, doch dann wurde mir das Ausmaß seiner Perversion klar. Er bot mir seine Tochter und meinen Job im Tausch dafür, dass ich den Mund hielt.
»Von jetzt an bist du mein Verbündeter«, sagte er und lächelte mich an. Es wirkte fast freundlich.
Am nächsten Tag kehrte ich zu Marie zurück. Sie war so naiv. Sie konnte gar nicht fassen, wie viel Glück sie hatte. Für sie war die Welt wieder in Ordnung und sie liebte ihren Vater nun noch mehr. Ich tat das, was mich bis ans Ende meines Lebens verfolgen wird. Ich
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