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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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nicht daheim: «Kannst du nicht warten, Vera? Es wäre unhöflichVater gegenüber, ohne ihn zu beginnen.» Wenn ich eine Frage hatte und Mutter keine Zeit oder keine Lust, mir zu antworten: «Kannst du nicht warten, Vera? Du siehst doch, dass ich beschäftigt bin.»
    «Kannst du nicht warten, Vera?!»
    Nein, das konnte ich nicht. Als Kind war ich dazu gezwungen worden, und ich war kein Kind mehr. Ich war zweiundvierzig, und wenn jemand zu mir sagte: ‹Kannst du nicht warten?›, oder: ‹Lass uns doch erst einmal abwarten›, oder: ‹Warten wir noch fünf Minuten›, rannte ich los wie mit einem Schlüssel aufgezogen.
    Wir hatten einmal darüber gesprochen. Ich weiß nicht mehr, bei welcher Gelegenheit. Aber dass Jürgen sich darüber amüsierte, habe ich nicht vergessen. Jetzt kenne er das Zauberwort, meinte er, um mich auf Trab zu bringen. Doch auch ein Zauberwort wendet man nicht immer mit Absicht an. Ob er es nur so dahersagte, weil er keine Lust hatte, bei dem Wetter noch einmal vor die Tür zu gehen, oder ob es der kurze Nachrichtenbeitrag war, den er sich anschaute, weiß ich nicht.
    Als ich in die Diele ging, schien er verärgert. «Jetzt warte doch, Vera. Was hast du es denn plötzlich so eilig? Es kommt doch auf fünf Minuten nicht an.»
    Ich antwortete ihm nicht. Während ich mir den Mantel überzog, rief er: «Nimm meinen Wagen. Mit deinem fliegst du von der Straße. Aber komm nicht auf die Idee, ihr Rad im Kofferraum zu verstauen. Das funktioniert nicht bei dem Wind. Da muss sie eben morgen zu Fuß gehen.»
    Als ich die Haustür öffnete, klatschte mir der Regen wie ein nasser Lappen ins Gesicht. Eine Sturmbö riss mir die Tür aus der Hand, sie schlug gegen die Dielenwand. Jürgen rief: «Halt bloß die Autotür fest, wenn du aussteigst!»
    Einen Schirm aufspannen zu wollen war utopisch. Ich ging noch einmal zur Garderobe und band mir ein Tuch um den Kopf. Dann lief ich zur Scheune. Für den Weg zum und durchs Dorf brauchteich fast dreimal so lange wie sonst. Ich konnte nur Schritt fahren. Auf der Landstraße waren es der Wind und abgerissene Äste von den Bäumen, im Dorf das Wasser.
    Die Hauptstraße hatte sich in einen Wildbach verwandelt. Aus den Gullys gurgelte das Wasser in die Höhe, statt darin zu verschwinden. Bei der Spar- und Darlehenskasse war die Feuerwehr im Einsatz. Es gab bei so heftigen Regenfällen häufig Probleme mit der Kanalisation. Als wir den Hof kauften, war im Gemeinderat die Rede von Auffangbecken gewesen, die dringend gebraucht wurden. Gebaut worden waren sie noch nicht.
    Genau um halb elf kam ich bei Hennessen an. Das weiß ich sicher, weil ich auf die Uhr geschaut habe. Und ich weiß auch, dass ich unterwegs nur zwei anderen Fahrzeugen begegnet bin: einem Lkw mit Anhänger und einem roten Kadett Kombi, ein Uraltmodell. Einen grauen Kleinbus habe ich nicht gesehen! Ich weiß es deshalb so genau, weil ich in der Straßenmitte fuhr und rechts ran musste, um den Gegenverkehr vorbeizulassen. Auf Fußgänger habe ich nicht geachtet. Wenn da jemand war, der sich eng an den Häusern vorbeidrückte, um ein wenig geschützt zu sein   … Ich habe nichts gesehen. Ich rechnete auch nicht damit, dass jemand zu Fuß unterwegs sein könnte.
    Bei Hennessen schien alles ausgestorben. Das Wohnhaus, die Reithalle und der große Innenhof lagen im Dunkeln. Bei der Einfahrt stand eine Laterne, aber sie reichte nicht über die Mauer. Im Licht der Scheinwerfer sah ich, dass kein Wagen auf dem Hof stand. Also hatten der Tierarzt und Hennessens Schwester das Anwesen schon verlassen.
    Im hinteren Bereich des Stalls schimmerte es gelb durch zwei der hoch angebrachten und von Schmutz blinden Fenster. Das Tor stand offen, was bei dem Wetter ungewöhnlich war. Ich fuhr den BMW so nahe wie möglich heran, stieg aus, warf die Autotür hinter mir zu und hetzte mit einem Sprung ins Trockene. Es war niemand zu sehen, nur ein paar Pferdeköpfe über den Boxen.
    Hennessen hatte zwölf Boxen in seinem Stall, sechs auf jeder Seite, dazwischen ein Gang. Und vorne, wenn man zum Tor hereinkam, war ein freier Raum, wo die Gerätschaften untergebracht waren. Dort blieb ich stehen. Ich mochte nicht zwischen den Pferden durchgehen. Sie streckten immer ihre Köpfe über die Türen, wenn jemand kam. Der Gang war zwar breit, aber   … Ich mochte das eben nicht. Ich war keine große Tierfreundin.
    Es war feucht, kalt und dunkel im vorderen Bereich. Die meisten Tiere schienen schon zu schlafen. Bella stand noch in der

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