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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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glaube
vielmehr, daß du nur nicht mit Ungewißheiten leben
kannst. Wenn du nämlich eine Theorie entwickelt hast, kommst du
nicht zur Ruhe, bis du dir halbwegs sicher bist, ob sie richtig ist
oder nicht. Und wenn du mal keine auf Lager hast, tust du einfach nur
das, was dir Spaß macht. Was ist denn so schlimm daran? Du bist
deshalb weder eine Heilige noch eine Verbrecherin.«
    Sie läßt den Vorgang noch einmal vor ihrem geistigen
Auge ablaufen – es könnte sich ein sehr schöner
erotischer Traum daraus entwickeln, aber ihr gefällt dabei noch
am besten, daß, wenn sonst schon niemand, Louie sie wenigstens
versteht. Apropos Sex mit Louie; diesen Gedanken wird sie sich
für die kommenden Monate aus dem Kopf schlagen müssen, denn
sein Aufenthalt im Weltraum ist unbefristet verlängert worden.
Stöhnend wälzt sie sich aus der engen Koje, geht unter die
Dusche (vor und nach dem Schlafengehen duschen – das ist ja
richtig exzessiv) und läßt das heiße Wasser
über den Körper rinnen.
    Das NOAA-Team ist jetzt im Besitz der aktuellen Daten, und trotz
der Leistungsfähigkeit des Bordcomputers und ihres Zugangs zu
allen möglichen Netzwerken verfügt die NOAA über die
weitaus größeren Kapazitäten, so daß sie die
Arbeiten am Fallstrom-Problem eigentlich einstellen könnte.
    Wenn da nicht jemand – ein Romanautor lange vor ihrer Zeit,
den ihr Vater immer zu zitieren pflegte – den Spruch
geäußert hätte, man könne immer etwas tun.
    Sie schüttelt den Kopf mit der Kurzhaarfrisur wie ein nasser
Hund, wobei das warme Wasser den Rücken hinabfließt und
reibt sich das verspannte Kreuz. Man kann immer etwas tun. Wozu ist
ein Fallstrom also noch imstande, außer eine Hochdruckzelle zu
erzeugen, die den Wirbelsturm vor sich hertreibt? Verursacht ein
Fallstrom noch andere Phänomene, und wenn ja, welche?
    Tornados über dem Land und Wolkenbrüche über dem
Meer – Wirbelstürme erzeugen Tornados quasi als Ableger.
Eine große Ansammlung bildet sich rechts neben dem Vektor des
Wirbelsturmes, und eine kleinere Ballung entsteht an der Peripherie
des Fallstroms. Meteorologie im ersten Semester: die von starken
Wirbelstürmen erzeugten Schwerwinde werden in der
Horizontalebene durch die an den Rändern vorherrschende
Cumulonimbus-Konvektion in Rotation versetzt.
    Scherwinde treten dann auf, wenn der Wind von der
Erdoberfläche abgebremst wird; die darüberliegenden
Strömungsschichten behalten ihre Geschwindigkeit jedoch bei
– und dadurch wird die Luft in Bodenhöhe zu einer sich
fortbewegenden ›Walze‹ zusammengerollt, vergleichbar mit
einem Läufer, der über einen Draht stolpert, wobei sein
Unterleib abgebremst wird und der Oberkörper weiter nach vorne
strebt. Dann zieht die starke Thermik, die an der Peripherie von
Stürmen immer auftritt, den rollenden Zylinder in die Vertikale,
wo er zu einem Tornado mutiert.
    Dort, wo der Fallstrom auf die Erde trifft, reichert er die Luft
mit Feuchtigkeit an und erzeugt eine Hochdruckzelle, von der die Luft
wegströmt. Somit entstehen ausgeprägte Scherwinde und viele
Cumulonimbus-Wolken, und diese Wolken – Gewitterwolken –
weisen eine starke, nach oben gerichtete Thermik auf. Direkt an der
Stelle, wo der Fallstrom die Erde erreicht, rotiert die Luft um
Tiefdruckzonen, mithin perfekte Bedingungen für die Entstehung
von Tornados.
    Das alles ist aber schon seit sechzig Jahren bekannt, als der
erste große Wirbelsturm auf dem Radar verfolgt wurde und die
Meteorologen die ganzen Cumulonimbus-Wolken, Tornados und sogar das
Auge selbst sehen konnten. In den sechziger Jahren des letzten
Jahrhunderts hatte der große Hurrikan Beulah, der
über dem Festland von einem großen Fallstrom angetrieben
wurde, Tornados erzeugt wie ein Lkw, der eine Ladung Fässer
verliert.
    Also wird ›Clems‹ Fallstrom… stärkere
Scherwinde produzieren. Und eine Hochdruckzone in Bodennähe.
Noch mehr Tornados und Wolkenbrüche…
    Und dieser Fallstrom wandert. Wenn er eine Position geräumt
hat, verschwindet plötzlich auch die Hochdruckzelle. Und die
komprimierte, verwirbelte Luft in Meereshöhe steigt
auf…
    … wie eine Blase in kochendem Wasser. Wie ein cartesianischer
Taucher – Carla erinnert sich an ein Geschenk ihres Vaters, als
sie gerade sechs war, eine versiegelte Wasserflasche mit einem
kleinen Taucher aus Glas; im Taucher befand sich eine Luftblase, und
wenn man die Hasche zusammendrückte, wurde die Blase durch den
Druck komprimiert, wodurch die Dichte des Tauchers sich

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