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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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Grinsen schämen.
    Als sie wenige Minuten später die noch immer auf der Walz
befindlichen mexikanischen Studenten überholen, sagt er:
»Ich kenne die Mentalität der Einheimischen nicht. Meinen
Sie, wir sollten sie mitnehmen?«
    »Nee«, erwidert sie, »das würde ich nicht. Die
sehen nicht sehr vertrauenswürdig aus.« Sie rasen an ihnen
vorbei, wobei das Vergnügen nur dadurch getrübt wird,
daß die Männer sie durch die getönten Scheiben
vielleicht nicht sehen.
    »Ich heiße Naomi«, sagt sie.
    »Und ich Eric«, erwidert er. »Nimm dir einen
Orangensaft aus dem Kühlschrank – du siehst so aus, als ob
du einen vertragen könntest und nur zu höflich bist, um zu
fragen.«
    Als sie den ersten kühlen Schluck genießt – und an
die Wanderer dort draußen denkt, sagt sie: »Du weißt
wirklich, wie man eine Dame behandelt, Eric. Bist du gar ein edler
Ritter?«
    Er grinst wieder hinter der Sonnenbrille. »Ich wußte
schon immer, daß Geld die beste Rüstung ist.«
     
    Harris Diem wünschte sich, daß er eines Tages beim
Öffnen der Kellertür eine Betonwand statt Treppenstufen
vorfände. Am besten wäre es indes, wenn es nicht einmal
eine Kellertür gäbe. Sollte das wirklich eintreten,
müßte Harris Diem mit zwei Dingen rechnen – entweder
würde er einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausstoßen
oder wegen der Klapperschlange an der Schädelbasis, die ihn
nicht in Ruhe läßt, durchdrehen. Wobei die
Wahrscheinlichkeit für letzteres größer wäre,
denn dieses Gefühl macht sich jetzt auch wieder bemerkbar, und
dann müßte er wahnsinnig riskante Dinge tun.
    Aber wenn er nur Erleichterung verspüren würde… wie
schön das wäre. Es ist schier unvorstellbar.
    Und natürlich ist die Kellertür noch immer da. Er hat
seinen Leuten im Weißen Haus gesagt, er müsse heute
abend nach Hause gehen und sich einmal vom Streß erholen; was
er ihnen indessen nicht gesagt hat und was sie auch nichts angeht,
denn es würde ihn vernichten, wenn sie es wüßten,
war, um welche Art von Streß es sich dabei handelt und wie er
ihn zu kompensieren gedenkt.
    Als die Kellertür sich hinter ihm schließt, seufzt er
erleichtert; die dünne Klebstoffschicht, mit der er immer die
Stufen präpariert und die man nur sieht, wenn man sie mit einer
Taschenlampe in einem bestimmten Winkel anstrahlt, so wie jetzt, ist
unversehrt. Die Putzfrau ist nicht hier unten gewesen (seine
größte Sorge), und es hat auch kein Eindringling hier
herumgeschnüffelt (seine geringste Sorge).
    Er geht die Treppe hinunter, schaltet das gedämpfte,
orangefarbene Licht ein und schaut sich mit einer gewissen
Zufriedenheit um; er wünschte sich zwar, das ganze Inventar
wäre nicht hier und er würde nie mehr das Bedürfnis
verspüren, in den Keller zu gehen, und doch haben Macht und Geld
auch ihre Vorteile – es ist ein komplexes System.
    Die Couch ist mit einem Rückhaltesystem ausgestattet, das ihn
nur solange fixiert, wie er sich dessen nicht bewußt ist. Das
Haarnetz ist mit einem angenehm weichen Satin-Futter versehen; die
Anschlüsse für Perus und After mit ihrer
Neuro-Stimulator-Funktion sind vom Feinsten, und die
Muskel-Stimulatoren in den Befestigungsgurten übertragen
Wahrnehmungen mit einer Empfindlichkeit von bis zu einem hundertstel
Newton.
    Wie immer öffnet er den Kühlschrank, nimmt sich eine
Flasche Mineralwasser und trinkt sie aus; sollte es wieder eine der
üblichen Nächte werden, wird er ungefähr drei Stunden
auf der Couch liegen und die zusätzliche Flüssigkeit
brauchen.
    Er hängt den Bademantel an den Haken und entkleidet sich.
Dann stopft er die Sachen in den kleinen Wäschebeutel, in dem er
den Bademantel nach unten gebracht hatte. Für einen Moment
vergräbt er das Gesicht im Frottee des flauschigen, sauberen
Kleidungsstücks, wobei er jedoch darauf achtet, ihn nicht mit
der Penisspitze zu berühren, die schon feucht ist von der ersten
Sekretion.
    Diem läßt den Bademantel los, worauf dieser
geräuschlos an die Wand zurückschwingt. Dann geht er zur
kleinen Waschmaschine und holt die frisch gewaschenen Tücher
heraus.
    Erneut ruft er sich in Erinnerung, daß er das eigentlich
nicht tun müsse und daß er eine Menge dringend
benötigten Schlafs nachholen könnte, wenn er jetzt einfach
wieder nach oben ginge; doch dann macht er beschwingt kehrt und
drückt den Daumen auf das Schloß des Schranks. Die Sperre
wird durch seinen Daumenabdruck aufgehoben.
    Die Tür schwingt auf, und er überfliegt das XV-Archiv.
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