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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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Neigungen lassen sich
mittlerweile behandeln. Aber das würde implizieren, eine Menge
Dinge zu gestehen, einschließlich der Tatsache, daß seine
›Experimente‹ auf dem College darin bestanden hatten, sich
als Voyeur bei Vergewaltigungen in weit entfernten Städten zu
betätigen…
    Das Land könnte sich in einem viel schlechteren Zustand
befinden, sagt er sich. Brittany Lynn Hardshaw ist einer der besten
Regierungschefs der letzten fünfzig Jahre, und das ist nicht nur
Diems Meinung – bei der Erfüllung seiner Aufgaben rangiert
präzises Urteilsvermögen vor Loyalität. Selbst wenn er
seinem eigenen Urteil nicht vertrauen würde, gäbe es immer
noch die nahezu einhellige Meinung der Historiker und
Politikwissenschaftler, auch wenn der energische Führungsstil
der Präsidentin nicht auf ungeteilte Zustimmung
stößt.
    Deshalb wissen viele Leute, daß sie ihren Ruhm zum Teil auch
ihrem ›Schatten‹ verdankt…
    Er sinkt auf den Boden der Dusche und betet eine Liste seiner
Verdienste herunter. Quasi en passant hat er für drei Millionen
Menschen Wohnungen gebaut, dreizehn Millionen einen Arbeitsplatz
verschafft und mehreren Millionen Gerechtigkeit vor Gericht
widerfahren lassen, die sonst keine Chance gehabt
hätten…
    Während seiner Zeit als Kongreßabgeordneter ist das Diem- Gesetz verabschiedet worden, wodurch über tausend
Leute für die Produktion von Clips, wie sie im verschlossenen
Schrank lagern, zum Tode verurteilt wurden. In einigen Fällen
hatte er sogar die Leute, mit denen er selbst in Kontakt stand, bei
der Polizei denunziert… wollte er gar auffliegen? Oder wollte er
nur, daß sie auffliegen?
    Er fühlt sich noch immer elend; die schmerzhaften
Krämpfe in den Lenden, der durch den VR-Aufsatz wundgescheuerte
Penis und die durch den vehemente Impulse sendenden Anus-Stecker
verursachten Schmerzen gehen einher mit einer
überwältigenden Übelkeit. Er schafft es kaum von der
Dusche zur Toilette, wo er sich mehrmals so heftig übergibt,
daß er sich wie ausgewrungen vorkommt; die Beine zittern und
der Kopf schmerzt, schlimmer als bei jeder Grippe.
    Jede wahrhaft intensive Sitzung wird mit wirklich schlimmen
Nachwirkungen quittiert. Das unerträgliche, fordernde Summen an
der Schädelbasis ist verschwunden und wird sich während der
nächsten Wochen oder Monate auch nicht mehr melden. Dafür
gibt es jetzt etwas anderes, das ihn quält.
    Die nicht verdrängten Gedanken melden sich sofort wieder
zurück; erneut stellt er sich unter die Dusche, spült die
Reste des Erbrochenen ab, trocknet sich ab und zieht den Bademantel
an. In guten Nächten hat das Duschritual gleichsam die Wirkung
einer Taufe: nach einer schmerzhaften Läuterung wird er rein und
unschuldig wiedergeboren; in schlechten Nächten schmort er
jedoch im Fegefeuer.
    Der unsichtbare Begleiter hat ihn in dieser Nacht voll im Griff.
Er torkelt nach oben und verharrt längere Zeit am Treppenabsatz,
denn er müßte eigentlich wieder zurückgehen, die
Klebstoffschicht auftragen und sich für das nächste Mal
ihre Position gründlich einprägen…
    Meine Güte, das nächste Mal. Dann ist DC vielleicht
schon weggespült, und Diem wird hier womöglich wie die
armen Teufel auf Hawaii umkommen, während er darauf wartet, mit
dem Rest der Regierung evakuiert zu werden… aber wie dem auch
sei, er muß den Keller versiegeln. Niemand darf von seiner
Existenz erfahren…
    Lange starrt er auf den dünnen Streifen trocknenden
Kunststoffklebers und prägt sich die unverwechselbaren Konturen
ein. Wenn ein Eindringling dieses Siegel einmal gebrochen hat, wird
er es nie wieder restaturieren können, und dann wäre Diem
zumindest gewarnt…
    Dann wird ihm weich in den Knien. Sein imaginärer Verfolger
jagt wie ein wütender, bissiger Hund die Treppe herauf. Er
wirbelt herum, knallt die Tür zu, verschließt sie, hetzt
die dem Personal verbotene Hintertreppe hinauf und betritt das
Schlafzimmer. Er schleudert den Bademantel von sich, woraufhin dieser
wie eine große Fledermaus auf dem Schreibtisch landet; dort
liegen noch drei Bücher, die er vor Wochen gelesen hatte, bevor
alles aus dem Ruder lief.
    Er wirft sich auf die weichen Laken des großen Wasserbetts
und vergräbt den Kopf unter der Decke; er schafft es gerade
noch, den Haus-Computer anzuweisen, die Zimmerbeleuchtung
auszuschalten.
    Es verfolgen ihn mehrere Überlegungen:
    Alle Clips, bis auf die drei ›Sonderausgaben‹, in die er
sich heute nacht eingeklinkt hatte, sind Kopien

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