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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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bekommen, was Diem vielleicht sagen wird, oder
sogar Hardshaw, falls sie das Glück hat, bis zu ihr
vorzudringen.
    Sie hat das unbestimmte Gefühl, daß Kliegs Organisation
das Material, das sie hat, gern in den Medien veröffentlicht
sähe, aber ihr ist nicht klar, weshalb. Bis zu einer
Veröffentlichung weiß sie natürlich nicht, was sie
damit anfangen werden…
    Und dieser Gedanke ist gleichzeitig auch schon die Antwort. Sie
trifft ihre Vorbereitungen und hinterläßt dann eine kurze
Nachricht für Glinda, die sie davon in Kenntnis setzt, daß
die Geschichte in der nächsten Ausgabe von Sniffings als
Aufmacher erscheint. Außerdem zeichnet sie eine
ausführliche Audio/Video-Nachricht für Harris Diem auf.
    Als er sie noch in dieser Nacht zurückruft, weiß sie,
daß sie richtig gehandelt hat.
     
    Jesse und Mary-Ann ist es gelungen, derselben Rettungsmannschaft
zugeteilt zu werden. Hier in Tapachula ist es bei weitem nicht so
schlimm wie in Tehuantepec; der Ort ist so weit landeinwärts
gelegen, daß es nicht mehr als ein sehr starker Hurrikan war,
der ihn heimsuchte. Und weil die Armee nicht erschienen ist, haben
die Einwohner von Puerto Madero die Stadt zum größten Teil
selbst evakuiert, bevor die Springflut anrollte. Die kleine Stadt und
der Strand sind verschwunden, und die Obdachlosen haben sich den
Obdachlosen von Tapachula angeschlossen, aber sie haben
überlebt; außerdem stehen noch viele Gebäude in
Tapachula. Sogar einige der Hütten, die sich um die Stadt
gezogen haben, haben es irgendwie überstanden, und es gibt noch
genug öffentliche Gebäude, um jedem eine Schlafstätte
zu bieten – und die womöglich noch komfortabler sind als
diejenigen, die die Leute vor dem Durchzug von ›Clementine‹
zur Verfügung hatten.
    Nicht, daß es nichts zu tun gäbe, aber die Zahl der
Todesopfer geht hier nur in die Dutzende, nicht in die Hunderte, und
bei der Vielzahl der Helfer sind die Trümmerhaufen schnell
durchsucht. Mary Ann sieht, wie zwei kleine, verdreckte und
verängstigte Jungen aus den Trümmern eines Hauses geborgen
werden und hört dann den Freudenschrei der Mutter.
    Düster sagt sie sich, daß sie, falls sie jetzt im
Dienst wäre, ihre Emotionen künstlich aufpeitschen
müßte – damit die XV-Benutzer auch ja den Eindruck
hätten, etwas Schönes gesehen zu haben.
    Der ohnehin schon lange Tag wird noch länger; weil der
Vermieter nicht anwesend ist und somit auch keinen Einspruch einlegen
kann, hat Mary Ann das von ihr gemietete Haus in ein Notquartier
verwandelt; außer den unersetzlichen Herreras halten sich nun
noch zwanzig weitere Menschen dort auf. Deshalb ist es mit einem
gewissen Aufwand verbunden, für alle eine Schlafgelegenheit
herzurichten; weil Señora Herrera die Gäste aber am
Eingang ›überprüft‹ hat, sind nur diejenigen
aufgenommen worden, die auch bereit waren, für Kost und Logis zu
arbeiten. Nun wirkt das Haus fast noch sauberer und ordentlicher als
zuvor.
    Jetzt steht Jesse und Mary Ann nur noch das Herrenschlafzimmer und
das dazugehörige Bad zur Verfügung, aber das stört sie
nicht weiter; es ist sogar ganz gemütlich, als ob sie das
größte und schönste Zimmer in einem Wohnheim
hätten.
    An diesem Abend müht Jesse sich mit dem Computer ab. Die
Verbindungen nach draußen und somit nach ganz Mexiko scheinen
in Ordnung zu sein. Die Nachrichtenübertragung zwischen Nord-
und Südmexiko wird jedoch per Satellit abgewickelt –
›Clementine‹ hat bei ihrem Durchzug eine Schneise
geschlagen und die paar unterirdisch verlegten Glasfaserkabel
herausgerissen. Damit ist Mexiko durch das Chaos auf der Landenge von
Tehuantepec in nachrichtentechnischer Hinsicht eine geteilte
Nation.
    Es beschleicht ihn zwar ein gewisses Unbehagen bei dem Gedanken,
aber dann sagt er sich, daß der Versuch einer Kontaktaufnahme
mit Naomi das mindeste ist, was er tun kann. Er setzt einen kurzen
›Hoffe-es-geht-Dir-gut‹-Brief an Naomi auf und schickt ihn
dann in eine mit ihrer Netzkennung versehene Warteschleife – ein
kleines Programm, das so lange im Netz verweilt, bis sie sich wieder
einloggt.
    Wenn er schon dabei ist, plaziert er auch gleich ein
›Memo‹; das ist ein Programm, das alle Naomi betreffenden
Eingänge registriert. Er programmiert es so, daß es in den
Großrechnern und Prozessoren der Bundesstaaten Oaxaca und
Chiapas zirkuliert. Wenn sie – bei diesem Gedanken zuckt er
leicht zusammen – im Krankenhaus liegt, sich in einem Bus mit
Flüchtlingen befindet oder sich wo auch

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