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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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Und sie haben auch
durchblicken lassen, daß ein großer Teil des Materials
auf die eine oder andere Art Gewalt- und Sexszenen enthalte und sie
sich deshalb veranlaßt sehen könnten, es als
›Pornographie‹ zu deklarieren, wobei Passionet für die Dauer der Untersuchungen keinen Zugriff auf das
Material hätte. Und dann würden aufgrund der Beweislage
viele Verhaftungen erfolgen, wobei das Diem- Gesetz die
rechtliche Grundlage lieferte.«
    »Mein Gott. Ich dachte, dieses Gesetz würde nur für
den Vertrieb von Todespornos gelten.«
    »Es untersagt den Verkauf von Mord- und Folterclips zu
Unterhaltungszwecken. Bisher ist der Wortlaut ziemlich eng
gefaßt gewesen und bezog sich nur auf Vergewaltigung, Mord und
Folter von Menschen sowie den Vertrieb solcher Clips, aber das kann
sich auch ändern. Theoretisch könnte Passionet für jeden Mord, jede Körperverletzung und jeden irren
Nachahmungstäter zur Verantwortung gezogen werden. Und in
besonders schweren Fällen könnte für Manager,
Großaktionäre und Clip-Produzenten tatsächlich die
Todesstrafe verhängt werden. Wie damals bei den Nürnberger
Prozessen – ›Ich habe nur Befehle befolgt‹ ist keine
Entschuldigung.«
    »Mein Gott! Ist das überhaupt legal?«
    »Natürlich nicht. Aber Präsidentin Hardshaw war
schon vor Passionet beim Obersten Bundesgericht, und das
Gericht nimmt keine Klageanträge an; sie bezeichnen es als
›übergeordneten nationalen Notstand‹, wie seinerzeit
Lincoln Habeas Corpus aussetzte oder die Geheimhaltung
während des Kalten Krieges. Im Juristenjargon wird das dann zu
›Tut lieber, was wir sagen‹ verharmlost. Und dabei war das
alles nur eine Machtdemonstration, mit der sie Llewellyn begreiflich
machen wollten, daß sie es auch auf die harte Art können
und daß er besser kooperieren sollte.«
    »Ich vermute, daß er das begriffen hat. Was
wollten sie denn von ihm?«
    »Nicht nur von ihm, sondern von jedem XV-Netz, auf das sie
Zugriff haben. Es ist ein Befehl: die Netze dürfen nichts
senden, was weiteren Zündstoff für den Zweiten Globalen
Aufstand liefern könnte. Rein gar nichts. Statt dessen sollen
wir jetzt alles mögliche Material über die
zusammenwachsende Menschheit zusammenstellen, über Mut und
Hoffnung und Solidarität und so weiter. Die Art von positiven
Nachrichten, welche die Politiker schon immer am liebsten gesehen
haben.«
    »Mein Gott, Mary Ann. Ich weiß, worauf du hinauswillst.
Du hast tatsächlich keine Wahl – ich habe nicht den
Eindruck, daß du mit diesen Kerlen herumvögeln willst. Sie
könnten alles mit dir anstellen, was ihnen gerade in den Sinn
kommt.«
    Der Seufzer, den sie nun ausstößt, klingt weniger
traurig als vielmehr ungeduldig, als ob sie bereits wüßte,
worauf sie sich da einläßt. Sie nimmt seinen Arm, den er
zuvor in der sengenden Hitze, die Ende Juli in Südmexiko
herrscht, um ihre Schultern gelegt hatte und der dadurch etwas warm
und pappig geworden ist. Dann nimmt sie wieder seine Hand und
küßt sie zärtlich. Er begreift, daß sie ihn auf
ihre Art wie einen Sohn behandelt, und es mißfällt und
gefällt ihm gleichermaßen; er schluckt und
beschließt, ihr wirklich aufmerksam zuzuhören, denn ihm
wird schmerzlich bewußt, wie viel mehr sie weiß als
er.
    »Auf einmal fühle ich mich wie deine große
Schwester«, sagt sie, »das heißt, deine große
Schwester, die gerne zudringlich wird. Jesse, die Regierung setzt
zwar Passionet unter Druck, aber nicht mich. Ich will es tun;
es geht dabei nicht um ›Kooperation‹. Ich gehöre zu
ihnen. Wenn ich sehe, daß jemand die Zensur zu unterlaufen
versucht, werde ich ihn anzeigen.« Ihr scheint für einen
Moment der Atem zu stocken. Weil er nichts sagt, fährt sie fort:
»Nichts treibt einem die Romantik gründlicher aus als ein
romantischer Job. Jesse, Nachrichten für die Massen, ob sie nun
von XV gemacht werden oder damals von den Zeitungen, ist Unterhaltung. Egal, was einem in der Schule erzählt wird,
die Leute verfolgen die Nachrichten nicht der Informationen wegen,
sondern sie wollen unterhalten werden. Wenn es so wäre,
wie es in der Schule gelehrt wird, dann würde man nämlich
den Staatshaushalt, Forschung und Wissenschaft und Biographien hoher
Beamter als Aufmacher nehmen und der Nobelpreisverleihung sowie dem
Jahresbericht der Weltgesundheitsorganisation eine Sondersendung
widmen. So läuft es aber nicht. Die Berichterstattung
befaßt sich mit Kriminalität, Sport, den amourösen
Affären von Prominenten, lustigen

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