Die Mutter aller Stürme
nächste Paket vom Mond durch die Spule der Good
Luck jagt, widmet Louie ihm seine volle Aufmerksamkeit, denn er
ist bereits so weit vom Mond entfernt, daß er den Spagat
zwischen Louie-auf-dem-Mond und Louie-das-Schiff kaum mehr
aufrechterhalten kann. Louie nimmt das Paket auf dem Mond, schleudert
es mit dem Katapult davon, wechselt die Perspektive, sieht, wie das
Paket die Entfernung zwischen Mondkatapult und Spule zurücklegt,
verfolgt seinen Durchgang, ortet die durch Wirbelströme in den
nicht perfekt abgeschirmten Leitern erzeugte Wärme, beobachtet
den Austritt des Pakets, und das alles mit einer Leichtigkeit, wie
ein Jongleur mit seinen Bällen hantiert. Dieser Anblick ist viel
eindrucksvoller, und gleichzeitig tut Louie noch hundert andere
Dinge. So wird es gemacht.
Mittlerweile fliegen ihm schon sechsundvierzig Pakete voraus, und
ihre Funksignale erreichen ihn erst nach siebenundachtzig Sekunden,
wobei siebenundachtzig Sekunden für Louie zweihundertachtzig
Gehirn-Tage darstellen; in dem Zeitraum, da Louie-das-Schiff etwas
gesagt, Louie-auf-dem-Mond geantwortet und Louie-das-Schiff die
Antwort verarbeitet hat, sind für einen normalen Menschen vier
Mental-Jahre verstrichen.
Er hat nun nicht mehr den Eindruck, mit den Paketen zu jonglieren,
sondern sie zu fangen und zu werfen. Während der Zwangspausen in
seinem Körper improvisiert er Handballspiele in der
Beobachtungskuppel, wozu er einen alten Tennisball benutzt, der
unmotiviert in der Raumstation Constitution umherschwebte;
aber es ist natürlich nicht dasselbe.
Er bleibt in Bewegung. Der Aufenthalt in seinem Körper wird
ihm mit jedem Tag mehr zuwider. Am meisten bedauert er, daß
Carla und er sich nun ›Romane‹ schreiben, wie sie es
bezeichnen – detaillierte simulierte Erfahrungen wie im XV, nur
besser, wobei sie Sex, Romantik, Abenteuer und Vergnügen
miteinander teilen –, aber nur alle dreißig Gehirn-Jahre
(oder alle fünfzig Minuten), und natürlich sind diese
Romane schon nicht mehr aktuell, wenn nach mehreren Subjektiv-Jahren
die Antwort des Empfängers eingeht. Überdies sind die
Geschichten so lebendig – besser, als das Leben sie jemals
hätte Scheiben können –, daß er sich
wünscht, sie würden auf der Erde Urlaub machen, auf der
Erde vor ›Clem‹, um herauszufinden, ob dieses gemeinsame
Vergnügen im virtuellen Raum der Realität gleichkommt.
Nicht, daß sie nicht auch so das Paris des achtzehnten
Jahrhunderts besuchen oder aus dem Orbit nach Tahiti surfen
könnten.
Nun, zumindest dafür ist sein Körper noch zu gebrauchen,
und deswegen wird er ihn auch schön konservieren; obwohl seine
Kapazitäten so groß sind, um nach Belieben
›physikalische‹ Erfahrungen zu konstruieren.
Berlina Jameson erwartet im Grunde nichts mehr vom Leben – es
ist schon so lange dermaßen kompliziert, daß sie sich von
ihm nichts mehr erhofft. Das Letzte indes, was sie erwartet
hätte, war eine Meldung von John Klieg, noch dazu garniert mit
einer Namensliste, Daten, Dateien, Quellen, und Knoten, die sie
recherchieren konnte. Für einen Moment fragt sie sich, ob das
vielleicht seine Rache sei und ob er sie bei ihren Recherchen
womöglich in die Fänge einer Extremistengruppe treibt. Aber
weshalb hat er dann den kurzen Hinweis hinterlassen, daß sie
ihre Recherchen unter einem sauberen – also gefälschten,
neuen und nicht zurückzuverfolgenden – Identifikationscode
durchführen solle? Wenn es tatsächlich eine Falle sein
sollte, dann durchschaut sie sie nicht.
Vielleicht ist er auch nur ein Mann mit Sportsgeist, der begreift,
daß es nichts Persönliches war, daß sie nur ihre
Arbeit gemacht hat.
Sie investiert eine große Summe, um ihre Daten-Späher
in einem kommerziellen Parallelnetzwerk zu plazieren und so gut wie
möglich zu tarnen. Als sie aus diesem Anlaß ihren
Kontostand abfragt, entdeckt sie, daß sie nun eine reiche Frau
ist.
Die Suche erbringt spektakuläre Ergebnisse, und sie begreift
sofort, daß sie Klieg etliche Gefallen schuldet, die sie zum
größten Teil dadurch tilgt, daß sie alle zu ihm
führenden Spuren verwischt. Zum anderen wird sie gut aufpassen
müssen, daß sich nicht die Schlinge um ihren eigenen Hals
legt, wenn sie das in Sniffings bringen will.
Am besten hält sie diese Informationen bis zur nächsten Sniffings- Sendungunter Verschluß. Sie hält Ausschau
nach einem sicheren Ort, von dem aus sie ihren Anruf tätigen
kann, überwacht Harris Diems Privatanschluß und fährt
dann nach ein paar Stunden,
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