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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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gehört. Old Robert arbeitet schon lange Zeit als
Schrotthändler, und Old Bob, sein Hund, hat ihn immer dabei
begleitet. Die Spitznamen hat Old Robert sich ausgedacht, der immer
nur in der dritten Person von sich und zu sich spricht.
    Sie gehen die lange Pier mit ihren gehobenen Fischrestaurants
entlang; zum erstenmal hält niemand sie auf, und die Polizei
schikaniert sie nicht. Das Meer sieht heute lustig aus,
aufgewühlt und mit hohen Wellen, aber weil die Leute ziemlich
schnell davonlaufen, kann Old Bob sich an Resten gütlich
tun.
    Old Robert klopft an die Tür eines Restaurants mit dem Namen Acres of Clams, vor allem deshalb, weil der Typ auf dem Schild
einen grauen struppigen Bart hat und alte, verschlissene Klamotten
trägt, genau wie Old Robert. Die Tür geht auf; jemand
muß die Sturmwarnung wohl ignoriert haben. »Komm, Old Bob.
Old Robert und du werden jetzt was essen.«
    ›Essen‹ ist neben seinem Namen die einzige Vokabel, die
Old Bob beherrscht. Wie der Blitz flitzt er durch die Tür.
    Das Gebäude verfügt über einen Energiechip, mit dem
es Gas aus Luft und Wasser gewinnt – jemand hat es Old Robert
mal vor langer Zeit erklärt. Er war früher ein recht guter
Koch, und er stellt eine große Pfanne auf den Herd, gibt ein
Stück Butter hinzu, stellt die Unterhitze an und geht zum
Kühlschrank. Der ist mit großen Fischfilets und
weichschaligen Krabben bestückt, und er wirft sie zusammen mit
einer Handvoll kleingehackter Zwiebeln in die Pfanne. So ein Duft ist
ihm noch nie in die Nase gestiegen.
    Old Bob macht sich über das her, was auf dem Boden statt in
der Pfanne landet, und das ist reichlich.
    Die große Pfanne mit gebratenem Fisch ist lecker, aber Old
Robert tut sich auch schwer damit – solch ein üppiges Mahl
ist er nämlich nicht gewohnt. Der Rest geht dann an Old Bob, der
solche Probleme nicht hat.
    Außerdem ist ein umfangreiches Weinsortiment vorhanden; Old
Robert beschließt, sich ein wenig davon zu genehmigen, ein
Fläschchen vielleicht, und Old Bob mit ein paar Steaks
ruhigzustellen.
    Er muß ein bißchen herumkramen, bis er den
Korkenzieher findet, aber schließlich hat er ihn. Er wirft Old
Bob ein Stück rohes, blutiges Rindfleisch hin, und der Hund
macht sich darüber her wie ein verhungernder Wolf. Dann hebt er
die Flasche. Es regnet nun in Strömen, und der Wind wird
stärker. An einem Tag wie diesem bleibt man am besten zu
Hause.
    »Auf bessere Zeiten!« ruft er Old Bob zu. Erschrocken
läßt der Hund das Fleisch fallen und versucht dann
hektisch, es wieder zu schnappen. Das ist so komisch, daß Old
Robert die Hälfte des Weins aus der Nase hinausläuft.
    Der Hund scheint den Spaß zu begreifen und tobt bellend
umher. Old Robert lacht, und dann widmet der eine sich dem Wein und
der andere dem Steak. Meine Herren, besser kann es wirklich nicht
mehr kommen. Wie haben sie damals gesagt? Irre. Es ist ein wirklich
irrer Nachmittag.
    Sie sehen nicht, wie die turmhohe Welle über dem
ächzenden Gebäude zusammenschlägt und sie unter sich
begräbt. Beide sind völlig benommen, als das
Verhängnis über sie kommt; Old Bob hat den Kopf an Old
Roberts Brust gelegt. Das Restaurant wird von Sog erfaßt und in
den Puget Sound gerissen; ihre Leichen werden nie gefunden.
     
    »Unglaublich«, sagt Berlina am 5. August. Sie und Naomi
sind nun oben in Portland, wo die große Flutwelle, die
hundertsechzig Kilometer den Columbia hinaufgedrückt wurde,
Jantzen Beach und Hayden Island überrollt, einen neuen Kanal
nach Willamette geschaffen und auf dem Rückzug die Montavilla
Arcology mitgerissen hat. »Sie waren gewarnt, sie
wußten es, sie hatten es auf tausend Bildern gesehen und sie
mußten einfach wissen, daß ihre verdammte
Beton-Schildkröte einer achthundert Meter hohen Flutwelle nicht
standhalten konnte, und trotzdem sind sie geblieben.«
    Das sagt sie zu Naomi Cascade, die als Fotografin fungiert und
sich in der zweiten Woche als Berlinas Teilzeitkraft und der ersten
Woche als ihre Vollzeit-Verehrerin befindet. Vor ihnen erstreckt sich
ein großes Oval aus Beton- und Rebar-Trümmern mit einer
Ausdehnung von achthundert Metern; das ist alles, was von dem
dreißig Stockwerke hohen Gebäude noch übrig ist,
nachdem die Wucht der Welle die im Gebäude eingeschlossene Luft
gleichsam zum Explodieren gebracht hat.
    Naomi zuckt die Achseln. »Es war ja kaum noch jemand da. Nur
ein paar alte Leute und XV-Nutzer…«
    »Genau das meine ich doch. Mein Gott, eigentlich ist es ein
Unding, daß ein

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