Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
Vom Netzwerk:
Verpflichtungen.«
    »Ähem«, sagt er. »Stimmt. Und ich… nun,
ich meine…« Ihm fehlen die Worte, aber er kann sich nicht
vorstellen, daß er tut, was sie von ihm verlangt, und so schaut
er nur hilflos in diese schönen Augen, ohne daß er
imstande wäre, seine Gedanken zu artikulieren.
    Er glaubt, jetzt hätte er sie verärgert, aber statt
dessen legt sie nur die Arme um ihn und weint sich aus. Er hält
sie über eine Stunde, küßt sie auf die Wangen und
streichelt ihr den Rücken. Er wünschte, er könnte
ihren Wunsch erfüllen oder ihr wenigstens sagen, daß es
ihm schwerfiele, ihn ihr abzuschlagen.
    Schließlich hört sie auf zu weinen und schläft an
seiner Brust ein; er spürt dort eine kleine klebrige Pfütze
aus Tränen und Rotz. Er bewegt sich nicht, sondern hält sie
nur, und nach einer Weile gleitet er in böse Träume ab, wo
etwas nach ihm greift und ihn in eine mit dunklem Wasser
gefüllte Grube hinabzieht.
    Am nächsten Morgen, dem einunddreißigsten,
läßt Di während des Packens den Fernseher
eingeschaltet, damit sie immer auf dem laufenden sind; danach packt
er die Bücher im Schuppen ein, wo kein Fernsehgerät steht.
Plötzlich hört er Lori und Mark schreien und läuft ins
Haus, um nachzusehen. Als er drin ist, greifen sie gerade nach ihrer
XV-Ausrüstung, und Lori reicht ihm seine. »Passionet«, sagt sie.
    Er legt Haarnetz, Brille und Handschuhe an und klinkt sich in
Passionet ein – mein Gott.
    Er wußte ja schon, daß Jesse eine ältere, reiche
Freundin hat. Es hat diesem schlitzohrigen Jungen ähnlich
gesehen, ihm zu verheimlichen, daß es sich dabei um Synthi
Venture handelt. Auch jetzt kann Di vor Bewunderung nur mühsam
an sich halten – und dann zieht ihn etwas in seinen Bann. Er
hatte keine Ahnung, welche enormen Anstrengungen in Mexiko
unternommen wurden, und obwohl er die Stürme an dieser
Küste tausendmal ausgewertet hatte, wußte er nie, was dort
wirklich vorging – oder wer sich dort aufhielt! Mary Ann
Waterhouse wird sicher eine Geschichte zu erzählen haben; er
fragt sich indes nur, weshalb sie für solch einen popeligen
Schundsender wie Passionet arbeitet.
    So verstreicht der halbe Nachmittag, aber es kümmert ihn
nicht. Solche Sachen sind pädagogisch wertvoll für Mark und
Nahum, sagt er sich; nachdem sie sich nämlich ausgeklinkt haben,
spielen sie ein wenig und sprechen dabei etwas Spanisch
miteinander.
     
    »Es funktioniert«, stellt Harris Diem fest. »Wenn
Sie Medaillen für XV-Stars haben, dann sollten Sie sie jetzt
verleihen.«
    Sie betrachten die Grafiken auf seinem Bildschirm. Sie alle zeigen
weltweit das gleiche; dort, wo das XV-Netz entsprechend dicht ist,
brechen keine neuen Aufstände mehr aus. In anderen Gebieten
werfen amerikanische und UN-Flugzeuge billige, in Großserie
gefertigte Haarnetze ab, und sobald die Menschen sie übergezogen
haben, werden die Unruhen im Ansatz erstickt. Die Leute klinken sich
in XV ein, um den Hurrikan aus Synthi Ventures Perspektive zu erleben
(oder welchen komischen Namen auch immer sie jetzt hat –
für alle ist sie nach wie vor nur ›Synthi‹).
    »Sie werden es nicht glauben, aber sie ist die Freundin von
Di Callares kleinem Bruder. Dieser junge Mann, Jesse, neben dem sie
geht.«
    »Ich wünschte, Sie hätten mir das nicht
gesagt«, erwidert Brittany Lynn Hardshaw grinsend. »Jetzt
weiß ich nämlich wirklich nicht mehr, wen ich beneiden
soll. Wenigstens sieht es jetzt etwas besser aus. Und ich hoffe,
dieser Universitäts-Semiotiker behält recht.«
    Von all den Prognosen haben sie nur die verstanden, wonach XV bei
den Menschen einen Nachahmungseffekt auslöst – und weil
Synthi Venture ihrem Publikum ein idealisiertes Porträt
ehrbarer, hart arbeitender und tapferer Menschen präsentiert,
versuchen sie diesem Vorbild auch gerecht zu werden. »Ich hoffe
auch, daß er recht hat. Und wegen dieses subversiven Krams
mache ich mir keine Sorgen; wollen wir wetten, daß Venture sich
darum kümmert, wenn es aktuell wird?«
    »Keine Wette. Sie ist eine harte Nuß. Wir harten
Nüsse respektieren uns. Die übrigen Prognosen des
Semiotikers beziehen sich auf eine ›eventuelle Subversion‹,
womit er wohl sagen will, daß viele Freizeit-Randalierer und
Gierhälse dort draußen versuchen werden, mit diesem
Material entweder Haß zu erzeugen oder es als Seifenoper zu
verkaufen.«
    Hardshaw schaut auf die Checkliste auf dem Notebook-Bildschirm.
»In welchem Stadium befindet sich die ›Operation
Valiant‹ jetzt?«
    »Es sieht gut

Weitere Kostenlose Bücher