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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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Minuten später sitzt er im Zipline und
telefoniert mit Lori. Es ist der 22. September, ›Clem‹
zieht gerade in der Nähe der Landenge von Tehuantepec über
Mexiko hinweg, und Jesse und Synthi Venture haben bereits den
größten Teil des Weges nach Oaxaca zurückgelegt
– sie müßten morgen dort ankommen, wenn sie nicht von
den Gewittern in ›Clems‹ Schlepptau aufgehalten werden.
Also wird der Junge in Sicherheit sein. Sein Vater befindet sich in
einem Flüchtlingslager bei Flagstaff und ist schlechter
Laune.
    Seltsam, sagt er sich, während der Zipline durch die
Dunkelheit jagt, daß die Sitze des Zipline, der Zipline selbst und seine Lebensumstände dieselben
geblieben sind, obwohl die Geographie der Vereinigten Staaten sich im
Detail bereits stark verändert hat. Wenn er eines der Lager im
Westen erreicht, wird er sich vielleicht langsam damit abgefunden
haben.
    Schließlich schlägt er das Buch Schlächter in
Gelb auf, das Lori ihm gegeben hat. Es ist wirklich eines ihrer
besten Werke, obwohl es ihn ein wenig überrascht, daß so
wenig Gewaltszenen darin vorkommen. Neulich hat sie einmal gesagt, es
falle ihr nicht mehr so leicht wie früher, Leute
abzumurksen.
    * * *
    Harris Diem hat das Gefühl, als wäre sein Kopf eine
einzige hallende Türklingel. Er ist müde, er ist immer noch
verwirrt ob des Ausmaßes, in dem die Welt sich verändert
hat, und er versucht sich dazu zu zwingen, ins Bett zu gehen anstatt
nach unten in den Keller.
    Keine Chance.
    Die Robe, die sauberen Tücher, die Ekstase der Auswahl…
heute abend wird er es seinen drei Lieblingsmädchen wieder
besorgen, angefangen bei der hübschen kleinen Cheerleaderin, dem
Typ Mädchen, auf die man im Alter von vierzehn Jahren so irre
scharf war und die man nicht bekommen konnte, weil das Leben nur aus
Arbeit und Lernen bestand…
    Stimmt nicht, gesteht er sich ein. Er ist ein Ungeheuer und ein
Perverser, aber zum Selbstbetrug neigt er nicht.
    Jedenfalls nicht in dieser Hinsicht. Wenn er im Alter von vierzehn
Jahren mit einem Mädchen wie Kimbie Dee hätte machen
können, was er wollte, dann hätte er sie vergewaltigt und
umgebracht. Das ist seine Veranlagung.
    »Okay«, flüstert er vernehmlich, »kleines
blondes weißer-Müll-Schätzchen, auf
geht’s…«
    Er beobachtet die Hände, wie sie von den perfekten kleinen
Brüsten abwärts gleiten zu ihrem wiegenden Becken,
genüßlich hört er den ersten Schluchzer der Scham und
sieht die Tränen, die aus den blauen Augen rollen…
    Sie steht nackt da, fühlt sich völlig
entblößt und hilflos und wünscht sich, Dad wäre
hier; er würde dieses Reptil töten.
    Die Darstellung erlischt. Es ist dunkel und ruhig.
    Kann kein Stromausfall sein – das Haus hängt an einem
Energiechip.
    Er drückt auf den Auslöser, streift die Cyber-Brille und
die Datenhandschuhe ab. Dort steht ein Mann…
    »Wessen Vater sind Sie?« fragt Diem sehr leise und
ruhig. Er will es wissen; er darf diesen Kerl nicht dazu bringen, zu
schnell abzudrücken.
    »Der Vater von Kimbie Dee Householder.« Der Mann richtet
eine Pistole auf Diems Gesicht.
    Diems Mund ist trocken; ein Teil von ihm erwartet immer noch ein
paar Orgasmen, eine heiße Dusche, ein Schuldgefühl und
etwas Schlaf. Ein anderer Teil fragt sich, was er beim Eindringen des
hyperschallschnellen Projektils wohl empfinden wird.
»Möchten Sie noch etwas von mir wissen, bevor Sie mich
töten?«
    »Wenn Sie noch etwas loswerden wollen, dann tun
Sie’s.«
    Diem hebt leicht die Schultern. »Ich bin eben so veranlagt.
Vielleicht wird man eines Tages entdecken, was mir fehlt, und den
Fötus abtreiben.«
    »Sie haben noch mehr von diesem Zeug gekauft?«
    »Ich würde noch mehr davon kaufen, wenn ich die Nerven
dazu hätte. Ich würde diese Dinge auch weiterhin tun, wenn
ich damit davonkäme.« Irgend etwas geht in Diem vor. Er
weiß, daß er tot ist, und endlich kann er laut
aussprechen, was ihm durch den Kopf geht. Er schaut auf die
wäßrigen blauen Augen, den grauen Bart – das arme
Schwein kann sich noch nicht mal Spritzen leisten, um seine Haarfarbe
zu konservieren – und die abgetragenen Kleider. Hier ist ein
Mann, der sich nie ein Haus, sondern nur ein Wohnmobil leisten
konnte, einer jener Menschen, über die Diem bei seinem Weg an
die Spitze hinweggetrampelt ist. »Verstehst du das? Es gibt
keinen Grund dafür. Ich liebte es einfach, dieser kleinen
Hexe einen Besenstiel in den After zu stoßen.«
    Mit diesen Worten bekommt er eine Erektion, wodurch der noch

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