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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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Relais
zurück, und ein paar ›Schlaumeier‹ haben auf weiten
Orbits mit Radien bis zu 1200 AU etliche Sonden positioniert, die in
Intervallen Fahrt aufnehmen und in ein paar Jahren diese Position
erreicht haben werden; wenn es hier draußen also etwas
Interessantes geben sollte, wird er es früh genug erfahren.
    Diese Gedanken mögen vielleicht unsinnig sein, aber
schließlich ist sein Bewußtsein auch viel komplexer als
früher. Er überprüft seine Speicher, die vielen
Speicher, die er von den ›Besserwissern‹ geerbt hat, die
ganze psychoanalytische Literatur. Merkwürdig, daß er sich
überhaupt noch an Emotionen erinnert oder welche
verspürt.
    Vielleicht liegt es daran, daß er sich nun vollständig
auf 2026RU konfiguriert hat und durch das Ausbleiben der
verzögert eingehenden Funksprüche kein Zeitgefühl mehr
besitzt? Nein, wenn überhaupt, dann sind seine Gefühle so
stark wie immer; die Hysterese allein genügt schon.
    Als er lange genug sondiert hat, kommt er dahinter. Im ersten
Schwall aus Ausschuß, der verdampft und aus den Triebwerken
geblasen wird, befinden sich auch die Überreste seines
Körpers. Er hat schon das ganze Wasser und andere komplexe
organische Materie geborgen, aber da existierte immer noch ein
beträchtlicher Brocken, eine ausgetrocknete, geschrumpfte Mumie,
die er mit dem anderen Abfall entsorgt hatte.
    Nun betrachtet er sie; sie wirkt wie eine kleine, runzlige
Backpflaume, die nicht annähernd so aussieht wie er zu
Lebzeiten. Aber früher einmal… er ertappt sich bei dem
Gedanken, daß er seinen Körper mehr vermissen könnte,
als er das jemals für möglich gehalten hätte.
    O ja, die Erde muß gerettet werden; die Menschen sind darauf
angewiesen, daß im Sonnensystem Terraformung durchgeführt
wird, und überhaupt hatte er auf seiner Reise zuviel Spaß
gehabt, als daß er sich gewünscht hätte, sie nicht
angetreten zu haben. Trotzdem überfordert es ihn emotional ein
bißchen, seinen Körper einfach zusammen mit irgendwelchem
Unrat ins All zu kippen. Nach kurzer Zeit hat er die Abdeckungen
einiger Reserveinstrumente zu einem provisorischen Sarg
zusammengeschweißt und seinen Körper dort bestattet.
    Es klappt auf Anhieb; ein He-3-Kügelchen wird mit einem Laser
zur Fusion angeregt, das expandierende Plasma wird zertrümmert,
gedehnt und im Zentralturm beschleunigt, ein anderer Laserstrahl
erhitzt das mit Drall in der Röhre aufsteigende Plasma –
und sein Körper verläßt das Sonnensystem als
kilometerlanger Strahl ihrer Elektronen beraubter Atome, die sich
nahezu mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen. Einige dieser Ionen
werden wohl in eine Sonne stürzen; die meisten jedoch werden
allmählich wieder Elektronen einfangen, bei ihren seltenen
Zusammenstößen Energie abgeben und sich wieder in durch
die Galaxis driftende Atome verwandeln.
    Es ist ein durchaus würdiger Abgang. Und nun, da er sich
besser fühlt, schickt er sich entschlossen an, das Eisen zu
bergen. Schließlich hat er einen Auftrag auszuführen.
    Er plant einen schnellen Anflug, viel schneller, als das allein
aufgrund der Anziehungskraft der Sonne möglich wäre. Dann
wird er um die Sonne rasen, wobei er sich der Hitze im Merkur-Orbit
aussetzt, einen den Planetenbahnen entgegengerichteten Kurs
einschlagen, die Bremswirkung der Gravitation des Merkur und dann der
Venus nutzen… alles in allem etwa drei Wochen von hier bis zur
Erde. Dies stellt einen weiteren Sprung in der Entwicklung der
Menschheit dar – neben der schier über Nacht erfolgten
Industrialisierung des Sonnensystems und angesichts der Tatsache,
daß Louie allein über mehr als zwei Drittel der gesamten
Rechenkapazität im Sonnensystem verfügt, während
Louie-auf-dem-Mond immer größere Kapazitäten
bereitstellt…
    Das ist nicht mehr die alte Welt… und das ist auch gut so,
denn schließlich ist er auch nicht mehr der alte Louie. Und was
die Zukunft dieser neuen Welt betrifft, so wird er deutlich mehr
mitzureden haben, als es hinsichtlich der Zukunft der alten Welt der
Fall war.
    Die Fusionstriebwerke feuern nun, wobei in jeder Sekunde viele
Tonnen Eisen verdampfen und als große weißglühende
Wolken mit annähernd Lichtgeschwindigkeit aus den Hunderten von
Türmen – von denen jeder fünfzigmal so hoch ist wie
das World Trade Center – ausgestoßen werden. Mit
unbewehrtem Auge würde ein Beobachter die Plasmaspur über
eine Entfernung von hundertsechzigtausend Kilometern verfolgen, aber
einem solchen Beobachter würde das indes auch

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