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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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soweit sie das im Licht der
Straßenlaternen und durch den Salzregen überhaupt erkennen
kann. Johnny sendet Signale aus, mit denen er die Menschen
auffordert, hochzukommen – in den Cafeterias, den
Geschäften und den drei Hotels, die sich im Gebäude
befinden, könnten die Menschen es sich ziemlich bequem machen
– aber jeder, der jetzt auf der Straße ist, hat ein
anderes Ziel; entweder wollen die Leute zu ihren Familien oder sie
mißtrauen dem großen Gebäude.
    »Verdammt blöd«, sagt eine Stimme hinter ihr. Sie
dreht sich um und sieht, daß es Johnny ist, der im Korridor
steht; sein Hemd ist durchgeschwitzt und der Overall schmutziger als
je zuvor. »Wenigstens sind alle meine Mitarbeiter hiergeblieben. Sie verstehen, daß dieser Ort so sicher ist wie ein
kleiner Berg. Wir könnten Zehntausende von Menschenleben retten,
wenn die Leute nur klug genug wären, hereinzukommen.« Er
schaut sie eine Sekunde lang an und sagt dann: »APDP.
Fünfundachtzigste Etage. Dritter Schalter von rechts, wenn du
reinkommst.«
    »Gut«, sagt Karen und senkt den Blick. In diesen Tagen
macht es sie ein wenig verlegen, wenn jemand sie anspricht; seit sie
bei den Auswahlverfahren Kontakt mit Schauspielern hatte, hat sie
sich sehr verändert, vielleicht nicht zu ihrem Vorteil…
    »Ich hoffe, du bist klug genug, dich von den Fenstern
fernzuhalten, wenn der Wind aufkommt«, sagt er, »man
rechnet mit einer Windstärke von 30 Beaufort, aber der Sturm
wird wahrscheinlich nicht über uns hinwegziehen. Aber vor dem
Hudson müssen wir uns in Acht nehmen.«
    Unten auf der Straße beträgt der Wasserpegel bereits
dreißig Zentimeter, und Karen erschauert. »Wird das
Gebäude das aushalten?«
    »Es muß. Ich habe eine nagelneue, noch nicht bezahlte
Musik und Video-Anlage in meinem Appartement. Die Gesellschaft
würde niemals zulassen, daß dieser Anlage etwas
passiert.«
    Sie lacht, nicht etwa, weil seine Worte komisch wären,
sondern weil er ein netter Kerl ist und ihm offensichtlich an ihrer
Sympathie gelegen ist. Er tritt ein wenig näher heran und schaut
auch auf die Straße hinunter. »Schau sich einer das an.
Sehen die Leute denn nicht, wie schnell das Wasser steigt? Sie werden
nicht mehr rechtzeitig aus Manhattan herauskommen. Die Flutwelle
läuft bereits flußaufwärts.«
    »Wie hoch wird sie werden?«
    »So um die dreißig Meter. Die Jungs von der
Meteorologie nennen das Größenordnungs-Prognose. Damit
meinen sie mehr als zehn und weniger als tausend.«
    Sie seufzt. »Können wir irgend etwas tun?«
    »Ich fürchte, die meisten von euch sind nur
Zuschauer«, sagt Johnny. »Nee, ich schaue nur mal nach, ob
die Straßen frei sind, damit… o Gott!«
    Auf seinen Ruf hin schaut sie in dieselbe Richtung und sieht es
auch, in verschwommenen grauen Konturen, den Times Square
heraufkommen: eine Wasserwand und Menschen, die vor ihr davonlaufen.
Niemand kann etwas tun; Johnny hängt am Telefon und befielt
seinen Leuten, sofort aus den unteren Stockwerken heraufzukommen,
falls sie noch dort sein sollten, aber Karen sieht nichts außer
der grauschwarzen Woge unter ihr, die bis zum dritten Stockwerk
heraufschwappt und Menschen wie zappelnde Insekten mitreißt.
Ein leichtes Beben läuft durch ihre Füße, als die
Flutwelle das Gebäude umspült.
    »Suzette? Hält die Tür?« fragt Johnny.
»Okay, sind alle draußen? Meldet euch bei mir!«
    Es folgt eine sehr lange Pause.
    »Okay«, sagt er. »Wir gehen jetzt nach Plan vor. Es
hat keinen Sinn, noch länger zu warten – es kommt niemand
mehr durch die unteren Türen.«
    »Äh, was ist das denn für ein Plan?« fragt
Karen.
    »Hä?« Er hat sie nicht gehört, weil sie sehr
leise sprach. Draußen haben die Straßen sich jetzt in
reißende Flüsse verwandelt; die Lichter des Dance
Channel Tower spiegeln sich im Broadway, der mit dunklem,
brodelndem Wasser gefüllt ist.
    »He, was für ein Plan? Ich bin einfach
neugierig.«
    »Warte…«, sagt er und hebt einen Finger. Er legt
den Telefonhörer ans Ohr, sagt mehrere Male »Gut, ja, in
Ordnung«, und seufzt schließlich. »Gut, das wäre
es. Der Plan besteht darin, daß wir die unteren Stockwerke mit
dem Wasser aus den Regenrinnen und dem Pumpensystem fluten. So lassen
wir sauberes Wasser bis zu einer Höhe von etwas über 30
Metern in das Gebäude. Wenn wir Glück haben, wird es bis zu
einem gewissen Grad den Wasserdruck ausgleichen, so daß die
Gefahr, daß das Gebäude unten einknickt und umstürzt,
verringert wird.«
    »Werden dadurch die Etagen

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