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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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Sie geht in den Sicherheitsraum, über den das
Weiße Haus seit dem Blitz verfügt, und setzt sich
an ihren Schreibtisch. Sie aktivieren einen Video-Bildschirm, und die
Aufzeichnung läuft. Einer der Geheimagenten flüstert,
daß keine Bestätigung für einen geplanten Angriff auf
das Weiße Haus vorliege.
    Sie hört wieder, wie Diogenes Callare und Carla Tynan es ihr
erklären. Gott, es ist schwer zu glauben, daß nicht mehr
am Leben sind.
    Als das Band zu Ende ist, sagt sie: »Gut, Sie haben recht.
Keine öffentlichen Erklärungen. Aber ich glaube, wir
sollten besser schnell abhauen… nein, streichen Sie das. Ich
vertraue Carla Tynan, und wenn sie sagte, daß es so schnell
geschehen würde, dann mußte es auch so kommen. Bringen Sie
mich nach Charleston und setzen Sie so schnell wie möglich die
landesweite Evakuierungsaktion in Gang.«
     
    In der Bucht von Campeche bildet sich das Auge des Sturms, und es
ist mehr als genug Energie vorhanden. Die Wand des Auges bricht auf,
und die Windgeschwindigkeit steigt. Als sie sich Mach 1 nähert,
nimmt sie langsamer, aber immer noch stetig zu.
    Unmittelbar nach Einbruch der Dunkelheit schäumt und donnert
die See für eine kurze Zeit, hundert Meter hohe Wellen
bäumen sich auf und krachen hernieder, und dann verwandelt der
Luftstrom sich mit einem Mal in eine sanfte Schichtströmung
– das Auge des Sturms bewegt sich nun mit
Überschall-Geschwindigkeit.
    Zu diesem Zeitpunkt befindet sich das Zentrum des Auges bei 92
Grad West 22 Grad Nord, weit draußen im Golf von Mexico, und es
hat schon einen Durchmesser von 400 Kilometern. Flutwellen walzen
bereits über Veracruz und ziehen die amerikanische
Golfküste hinauf.
    Carlas Prognose ist in einem Punkt falsch, aber nur in einem.
Genau wie sie vorhergesagt hatte, hat sich binnen zwanzig Minuten ein
Hurrikan mit einer Stärke von über 12 Beaufort und einem
Durchmesser von 1600 Kilometern entwickelt, als ob man im Zentrum des
Golfs einen großen Stöpsel herausgezogen hätte. Der
Druck des Auges ist auf 530 Millibar gefallen, das Auge selbst
expandiert sehr schnell, und die Windgeschwindigkeit nimmt zu.
    Trotzdem ist Carla ein Detail entgangen: Ein Überschall-Sturm
verursacht nicht nur tsunamigroße Flutwellen, sondern ist auch
groß genug, um beachtliche Mengen warmen Wassers aufzunehmen.
Je feiner das Wasser-Luft-Gemisch ist, desto wärmer wird die
Luft und desto verheerender wirkt der Sturm sich aus, indem er die
Wärme des Meeres in Wind umwandelt. Er hat mehr Energie –
und viel mehr Feuchtigkeit.
     
    Als Jesse von Dis Ermordung erfährt, setzt er sich hin und
weint eine Stunde lang. Mary Ann weiß nicht, was sie tun soll.
Sie selbst hat im XV schon einige Bekannte verloren, und man erwartet
in solchen Fällen einen Gefühlsausbruch – sie
bewundert Surface O’Malley dafür, daß sie diese Linie
nicht verfolgt. Aber Jesse ist nur ein Kind, das um seinen
großen Bruder weint. Was soll man da sagen? ›Kopf
hoch?‹
    Sie entschließt sich dann zu einem »Es tut mir sehr
leid.«
    Er klammert sich an sie wie ein Ertrinkender, und sie hält
seinen Kopf und streichelt sein Haar. Sie denkt daran, daß nun
eine Welt für ihn zusammenbricht, daran, daß sie Di nie
mehr wiedersehen wird (und sie hatte sich so darauf gefreut!), und
daß Jesse nie mehr derselbe sein wird, denn sein Leben ist von
einer sinnlosen Katastrophe heimgesucht worden.
    Überall in Nordamerika und Europa sitzen Menschen, die
eigentlich auf der Flucht sein sollten, und trauern mit Synthi
Venture.
     
    ›Clem 900‹ bringt Millionen Menschen einen schnellen
Tod. Innerhalb weniger Stunden hat die Sturmflut ein solches
Ausmaß erreicht, um ganz Florida zu überrollen.
Diejenigen, die bis jetzt nicht evakuiert werden konnten oder
wollten, werden von den Dutzenden Metern hohen Wellen verschlungen,
die in Intervallen über die Halbinsel hereinbrechen; die
Mangrovenbäume, die das Land gestützt hatten, knicken um,
Beton zerbröckelt, Stahl biegt sich und bricht, und die
Oberfläche von Florida wird in den Atlantik gespült und
rutscht in einer großen Lawine das Kontinentalschelf hinunter.
Immer mehr kommt nach; am nächsten Morgen wird nicht mehr viel
Landmasse übrig sein.
    Selbst in einer so weit nördlich gelegenen Stadt wie Memphis
erreicht der Wind Geschwindigkeiten von bis zu 250 km/h;
Städte und Wälder werden niedergewalzt.
    Der vom Sturm erzeugte Sog wirbelt im ganzen Golf umher, trennt
Plaquemines Parish von Louisiana ab, verschafft dem

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