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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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den Haltegriffen zum ›Konferenzraum‹ hinüber,
dem kleinen nüchternen, weißen Wandsektor, vor dem er
immer steht, wenn er den Anschein erweckt, den Inhalt der
Wetterberichte erfassen zu können.
    Ein erneutes ›Ping‹. Hastig schlüpft er wieder in
die Rolle des Wissenschaftlers.
     
    Nun, da Berlina Jameson wegen unerlaubten Fernbleibens vom
Arbeitsplatz ihre Stelle verloren hat, lebt sie am finanziellen Limit
– was ihre Großeltern als ›mit Plastikgeld
bezahlen‹ bezeichnet hätten, als es noch Karten gab, die
dem Risiko eines Diebstahls unterlagen –, aber noch immer
gelingt es ihr fast überall, die Sicherheitsleute davon zu
überzeugen, daß sie Reporterin sei.
    Das Motel Two in Barrow – eine Sardinenbüchse mit
Toilette und Dusche auf dem Flur und Betten, deren Decken und
Bezüge gegen Diebstahl gesichert sind – will ihr den
Parkplatz extra in Rechnung stellen, und im ersten Moment hat sie
auch vor, zu zahlen, aber dann kalkuliert sie den ihr noch
verbleibenden Kreditrahmen und vergeudet zwanzig Minuten mit einer
Auseinandersetzung mit dem Buchhaltungscomputer. Danach befindet sie
sich in einer ausgesprochen schlechten Stimmung, obwohl sie heute
morgen glücklicherweise Di Callare ausfindig gemacht hatte, und
als sie sich schließlich in ihr kleines Auto setzt, es auf die
Fahrspur manövriert und Kurs auf den Duc nimmt, weint sie
vor lauter Frustration und Selbstmitleid. Als das Fahrzeug
beschleunigt, bringt sie den Sitz in die
›Langstrecken‹-Position – ein Bett mit Zugang zu dem
kleinen Kühlschrank und dem ›Nachttopf‹ – und
dann, anstatt ein Nickerchen zu machen oder etwas zu arbeiten,
streckt sie sich nur auf dem Bett aus und weint während der
ganzen Fahrt.
    Ihre Netz-Statistiken weisen aus, daß absolut niemand ihre
Ein-Minuten-Spots ausstrahlt; und ihre eigene Station hat sie nicht
einmal ins Programm genommen.
    Als die XV-Verantwortlichen merkten, daß die Sendung nicht
sehr unterhaltsam war und Gewalt oder Sex praktisch nicht vorkamen,
verloren sie rasch das Interesse, mit Ausnahme der paar
Eierköpfe, die den Leuten die Möglichkeit bieten,
anspruchsvolle, witzige und zum Nachdenken anregende Sendungen zu
sehen… ein besonderer Geschmack, den Berlina nie zu
ergründen vermochte, aber die Zuschauer von NPXV sind
anscheinend ganz wild darauf. Während sie hier mit trocknenden
Tränen untätig herumliegt, fragt sie sich, ob sie jemals
mit den Wirtschaftskanälen kooperieren werden, so daß
Synthi Venture vielleicht eine Nummer mit Matthew Arnold schiebt, der
die Serie über den Niedergang der Zivilisation
moderiert…
    Da muß sie lachen, und plötzlich lacht sie freudlos
über sich selbst. Sie, der nächste Edward R. Murrow? Warum
nicht gleich Dschingis Khan? Vielleicht wäre die Eroberung der
Welt wirklich einfacher. Rundfunk und Fernsehen sind tot,
Mädchen, es sei denn als Hobby. Und selbst wenn das nicht
der Fall wäre, hier liegt sie nun und weint… ihre Helden
existieren nur in ihrer Vorstellung! Murrow schluchzt, weil er mitten
in einem Luftangriff das Mikro nicht findet… Cronkite in
Tränen aufgelöst, weil die NASA ihm nicht die richtige
Kameraperspektive schaltet… Sam Donaldson hält solange die
Luft an, bis er blau anläuft, weil Reagan nicht mit ihm sprechen
will.
    Das bringt sie zum Lachen.
    Mit dem Handrücken wischt sie sich die Tränen aus dem
Gesicht. Was hatte sie denn überhaupt erwartet?
    Auf einmal schlingert das Fahrzeug heftig, möglicherweise
deshalb, weil es gerade einem Karibu oder einem anderen Tier
ausgewichen ist. Das Tuning des Tieres war eindeutig falsch; die
meisten Leute glauben nämlich, daß die Tiere einem erst
dann vor das Fahrzeug laufen, wenn man eine übervolle
Kaffeetasse in der Hand hält oder auf dem Nachttopf sitzt.
    Die meisten Leute glauben auch, daß sie in einer Welt voller
Gefahren leben, denn sie haben schließlich alle erforderlichen
Beweise – sie können einfach nicht genug bekommen. Aber das
ist alles ein Trugschluß.
    Jetzt ist sie entspannt, trocknet die Augen und denkt über
all das nach. Es bleiben Ihr noch vier Tage, bis sie am Ende ist und
keinen Kredit mehr hat; und nicht einmal mehr vier Tage, falls noch
mehr solcher langen Fahrten anstehen. Sie kann mit einer großen
Sache aufwarten, und vielleicht wird Diogenes Callare ihr das letzte
Mosaiksteinchen geben – in etwa einer Stunde hat sie einen
Termin bei ihm. Wenn er das tut, kommt sie in die Hauptnachrichten;
sie wird zwar nicht viel davon haben – ein

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