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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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darauf verdammt gut, und der Vorgang
ist reine Zeitverschwendung, aber so kann sie dem Vorstand wenigstens
das Band mit der Gesprächsaufzeichnung vorspielen.
    »Ich habe schon zwei Wirbelstürme auf hoher See
erlebt«, sagt Crandall, »und ich werde bald einen dritten
erleben. Ich bin Co-Autor der Abhandlung über Wirbelstürme,
die von der Akademie herausgegeben wurde, und der erste Satz in
dieser Abhandlung besagt: ›Wirbelstürme als Population
weisen durchaus gemeinsame Merkmale auf, wobei ihre individuelle
Entwicklung jedoch nicht prognostiziert werden kann.‹ Dieser
Wirbelsturm huscht wie eine Katze mit brennendem Schwanz über
die Radarschirme, und er kann aus jedem Quadranten über uns
kommen oder uns sogar umkreisen und zweimal zuschlagen. Die halb
aufgetankte Monster wird sogar mit etwas höherer
Wahrscheinlichkeit von uns wegdriften, anstatt auf uns
zuzutreiben… aber diese Wahrscheinlichkeit ist eben nur gering.
Nicht, daß ich tausend Menschenleben darauf wetten wollte, Ms.
Wheatstone.«
    Sie rutscht mit dem Arm auf der Stuhllehne herum und bemüht
sich, einen Blick aufzusetzen, mit dem sie gleichermaßen ihre
Betroffenheit und Solidarität mit den für das Problem
zuständigen Leuten zum Ausdruck bringt. Redalsen begreift,
daß sie nur deshalb an dieser Besprechung teilnimmt, um zu
verhindern, daß unabhängig von den getroffenen
Maßnahmen ihre Karriere Schaden nimmt, und obwohl er das auch
versteht und für legitim hält, wäre ihm sehr daran
gelegen, wieder zum eigentlichen Thema der Besprechung
zurückzukommen.
    Der Name des Regierungsvertreters lautet Collins oder Smith, auf
jeden Fall vergißt er ihn immer wieder, und der Mann will im
Grunde nur darlegen, daß die Regierung Verständnis
für eine Startverzögerung aufbringen würde, ungeachtet
der Probleme, die sich daraus vielleicht für die Erfüllung
von Präsidentin Hardshaws Verpflichtungen ergeben, aber wenn der
Start tatsächlich verzögert wird, erwartet die Regierung
natürlich eine Entschädigung für den Ärger. Und
sicherlich wird die Regierung keine zwei Raketen aus Steuergeldern
finanzieren, um einen Satelliten ins All zu bringen, so daß im
Falle einer Zerstörung dieser Rakete und ihrer Ersetzung von
irgendeiner Stelle eine Entschädigung erfolgen muß, und
überhaupt wird die Regierung bis zum Start des Satelliten keine
weiteren Gelder mehr bewilligen.
    Und nun sitzt die einzig wichtige Person angestrengt
überlegend da und mustert dabei die Tischplatte. Wie Redalsen
weiß, ist dieser Bursche nun schon seit über sechzig
Jahren bei der Versicherungsgesellschaft und hat bisher die
Pensionierung abgelehnt. Wie den meisten Leuten in diesem Beruf sagt
man auch ihm nach, er sei zu gemein, als daß der Teufel ihn
holen wollte. Redalsen hat schon paarmal einen mit ihm getrunken und
ist dabei allmählich zu der Erkenntnis gelangt, daß er es
mit einem Mann zu tun hatte, der fast sein ganzes Leben damit
zugebracht hat, Horrorszenarien zu entwerfen und der Frage
nachzugehen, wie sich ein Minimum an Schadensbegrenzung erreichen
ließe.
    »Gibt es denn fundierte Prognosen?« fragt der
Versicherungsmann, wobei er sich auf die Lippen beißt und an
seinem Blumenkohlohr zupft.
    »Nichts, was sich quantifizieren ließe«, erwidert
Redalsen. »Ich kenne die Rakete so gut, um zu wissen, daß
sie, falls sie auf die hohe See abdriftet und mit einem Objekt
kollidiert, mit hoher Wahrscheinlichkeit detoniert, und wir
können in der uns noch verbleibenden Zeit den Brennstoff nicht
gefahrlos ablassen.«
    Crandall nickt. »Ich schätze, daß sie uns in den
nächsten zwei Stunden abhaut. Wir könnten einen Transponder
und eine Sprengladung anbringen und sie sprengen, sobald sie sich in
sicherer Entfernung von der Startrampe und den anderen Einrichtungen
befindet. Oder wir schicken sie, wie Mr. Redalsen vorgeschlagen hat,
auf eine suborbitale Bahn und bringen sie irgendwo runter, wo sie
keinen Schaden anrichten kann, vielleicht ein paar hundert Kilometer
nördlich von hier. Ich wäre mit beiden Optionen zufrieden
-Hauptsache, diese Bombe verschwindet von meiner Anlage.«
    »Und Sie gehen mit dieser Beurteilung konform, Mr.
Redalsen?«
    »Ja. Ich möchte aber noch hinzufügen, daß wir
die Chance haben, die Risiken bei zukünftigen Starts zu
reduzieren, wenn wir das Verhalten dieser Rakete
untersuchen.«
    »Verstehe.« Der alte Mann zupft sich am Ohr, schaut zur
Seite und kratzt sich am Kopf; Redalsen hat auf die eine oder andere
Art schon seit zwanzig

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