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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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den Drang zu salutieren
unterdrückt. Die meisten der älteren Techniker, die ihre
Familien hier haben, ziehen es vor, nach unten zu gehen, aber er
verfügt noch über etliche junge Ingenieure, die sich
wahrscheinlich wegen der Zulage gemeldet haben, so daß kein
Personalengpaß eintritt.
    »Gut, vor allem muß gewährleistet sein, daß
die Aufzeichnungsgeräte funktionieren, und haltet nach
ungewöhnlichen Erscheinungen Ausschau.«
    »Mr. Redalsen, Sir?« Gladys Hmau hat diesen leicht
spitzbübischen Gesichtsausdruck, der ihn immer etwas nervös
macht.
    »Ja, Ms. Hmau?«
    »Was genau ist denn so ungewöhnlich im Zentrum eines
großen Wirbelsturms?«
    Er lacht. »Oh, ist Ihnen etwa der Sinn für Humor
abhanden gekommen? Jeder konzentriert sich auf seine Instrumente
– das Radar gaukelt einem manchmal etwas vor. Achtet auf
Scherwinde am Turm und überhaupt auf alles, was auf einen extrem
schweren Sturm hindeutet.«
    Die Stunden verstreichen langsam. Gegen 20:00 Uhr erscheint ein
Küchengehilfe mit einem Servierwagen, der mit Käsetoasts
und Kaffee beladen ist, ›mit Empfehlung vom Captain‹. Die
Leute legen eine Pause ein, lehnen sich vor den Bildschirmen
zurück und stellen für fünfzehn Minuten die endlose
Litanei ein, die auf den Monitoren erscheinenden Daten per Funk
weiterzuleiten, für den Fall (über den man am besten
überhaupt nicht nachdenkt), daß die
Bord-Aufzeichnungsgeräte nicht abgehört werden. Ein
geschultes Auge registriert den Sprung eines digitalen Balkens eher
als jemand, der die Daten erst nach Monaten auswertet.
    Redalsen verändert die Perspektive der Kameras, deren
Aufzeichnungen auf den oberen Bildschirmen erscheinen. Er schaltet
die Turmbeleuchtung ein, aber was er dann sieht, ist nur eine massive
weiße Wand, wobei ihm einzig die dunkelgrünen Flecken im
unteren Abschnitt sagen, daß der Bildschirm etwas anderes als
Schnee zeigt.
    Nach einer Stunde hören sie schon den Sturm um das
Gebäude tosen. Das Barometer ist nun auf fast achthundert
Millibar gefallen. Die Wellen werden immer höher, und die
digitalen Anzeigen auf den Monitoren, welche die auf den Turm
wirkenden Kräfte registrieren, zucken auf und ab und springen
gelegentlich sogar in den roten Bereich, wenn eine Scherwelle
versucht, die Startrampe aus ihren Stahlverankerungen im Fels tief
unter der aufgewühlten See zu reißen.
    Gegen 22:00 bilden sich stehende Wellen in den Kaffeetassen der
Ingenieure. Gladys Hmau ist bleich im Gesicht, und Redalsen
berührt sie leicht an der Schulter, als er einen Blick auf den
Radarschirm wirft. »Das Auge wird in weitem Abstand an uns
vorbeiziehen«, bemerkt er.
    »Ja, aber wenn dieser Staubsauger doch über uns
hinwegzieht, sind wir alle tot«, murmelt sie. »Spüren
Sie das unter Ihren Füßen?«
    Er steht für einen Moment still, und tatsächlich laufen
merkliche Schwingungen durch den Boden.
»Eindrucksvoll.«
    »Nicht so eindrucksvoll wie das, was mit der Startrampe
geschieht«, meldet sich Silverstein von der anderen Seite.
»Die Scherwinde liegen jetzt voll im roten Bereich, Chef; ich
glaube, wir verlieren sie.«
    »Es würde mir zwar nicht gefallen, aber lieber keine
Rampe mehr, als daß es uns erwischt. Wie steht es mit der
Bruchstelle?«
    »Die Scherkräfte erreichen in sechzig Metern über
dem Meeresspiegel ein Maximum. Unter diesen Umständen ist
›Meeresspiegel‹ aber ein sehr relativer
Begriff…«
    Ein harter Stoß fährt durch den Boden, und Redalsen
fällt auf die Knie. Ein halbes Dutzend Schreie ertönt. Als
er wieder auf die Füße kommt, erfolgt ein zweiter, ebenso
heftiger Ruck, und die Beleuchtung sowie die Bildschirme flackern
kurz. »Gebt mir lieber mal die Brücke. Und richtet alle
noch intakten Außenkameras auf die Startrampe.«
    »Ähem, was die Startrampe betrifft…«
    »Wo ist sie gebrochen?« fragt Redalsen.
    »Direkt über der Oberfläche. Die Rampen sind wohl
dafür ausgelegt, schon unterhalb der maximalen Belastungsgrenze
zu brechen, nicht wahr?«
    »Ich weiß es nicht; das ist die erste Startrampe, die
ich jemals verloren habe. Und die Raketen fliegen dann wild durch die
Gegend. Kommen Sie zur Brücke durch?«
    »Die Leitung ist tot.«
    »Na großartig. Ihr bleibt alle hier; ich gehe rauf und
versuche, eine andere Verbindung zu aktivieren.« Und schon ist
er zur Tür hinaus; er hofft, daß er sie von seinem
tatsächlichen Vorhaben abgelenkt hat – er will nämlich
nachsehen, ob die Brücke überhaupt noch existiert.
    Als er die Treppe hinaufsteigt,

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