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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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Wahrheit ans Licht kommt – was sicher der Fall
sein wird, denn Ihre Operation muß irgendwo ein Leck aufweisen
–, nun, was ist glaubwürdiger als eine undichte Stelle,
hm?« Sogar in dieser Stunde zeigt der Generalsekretär
Format und bewahrt Haltung; dieser Sarkasmus ist Diem bisher noch
nicht aufgefallen. »Sehen Sie, als meine Experten die Daten in unser globales Modell integrierten, ermittelten wir mit einer
Wahrscheinlichkeit von etwa zehn Prozent, daß es im
nächsten Jahr überhaupt keine souveränen Staaten mehr
in der nördlichen Hemisphäre geben wird. Wenn dem so sein
sollte, möchten wir, daß die Menschen die
Küstenregionen verlassen und sich in Sicherheit bringen. Und
diese Nachrichten zu verbreiten – das wird ein hartes Stück
Arbeit. Die Leute glauben nämlich allen möglichen Unsinn,
aber nicht notwendigerweise die Wahrheit, wenn sie deshalb ihre
Häuser aufgeben müssen.«
    Diem überlegt kurz und erkennt dann, worauf der SecGen hinauswill. »Sie meinen also, wir sollten eine
›graue‹ Operation durchführen – versuchen, die
Sache geheim zu halten, aber sie nach draußen sickern
lassen?«
    »Exakt.«
    Diem schaut zur Präsidentin hinüber; sie nickt.
    »Nun denn«, meint er, »vielleicht sollte ich jetzt
einfach an die Arbeit gehen.«
    Acht Minuten später, als er wieder am Schreibtisch sitzt,
überlegt er, daß sie es wieder getan hat, und daß
seine Memoiren jetzt noch unglaubwürdiger sein werden. Jemand
muß sich in dieser Sache als Chronist betätigen, aber er
weiß nicht, ob er das sein wird.
    Und das Summen im Hinterkopf ist so laut wie noch nie.
     
    Die Ironie besteht darin, daß die Unterlagen in Austin genau
das enthalten, wonach Randy gesucht hat, aber der Inhalt ist sehr
ungünstig für ihn. Er ist auf fünf Männer
gestoßen, deren Namen er bisher nicht kannte, fünf
Festnahmen, die eindeutig dem Netzwerk angehörten, das den
XV-Clip mit der Ermordung von Kimbie Dee vertrieben hatte, alles
einflußreiche Leute, die nur ein oder zwei ›Felder‹
von dem Mann entfernt sind, hinter dem er her ist. Der Grund, weshalb
er sie bisher nicht berücksichtigt hatte, besteht darin,
daß sie sich zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung nicht im Besitz des
Clips mit Kimbie Dee befanden.
    Jetzt aber, da er Bescheid weiß, fällt es ihm wie
Schuppen von den Augen. Er hat fünf Männer gefunden, die
alle Kontakt zu mindestens sieben oder acht bekannten Verteilern
hatten; sie waren es, die die Clips in hoher Auflage vertrieben
hatten. Jeder von ihnen war an der Finanzierung der Leute beteiligt,
die diesen irren Psychopathen, der Krebs im Endstadium hatte,
ausschickten, um Randys kleines Mädchen zu töten, das
allein im Umkleideraum saß, weil sie sich schämte,
zusammen mit den anderen zu duschen, und der sie dann in der Dusche
aufhängte.
    Und der kleine Haken bei der Sache ist der, daß sie alle tot
sind. Alle wurden wegen Verstoßes gegen das Diem- Gesetz
exekutiert.
    Das verschafft ihm zwar eine düstere Genugtuung, aber zum
erstenmal findet er einen Einwand gegen die Todesstrafe – er ist
so nahe dran, aber er braucht einen Kumpan dieser Männer, der
noch reden kann.
    Es dauert etliche Tage, bis er schließlich auf einen Namen
stößt: Jerren Anders.
    Gerade erst der Todeszelle entronnen, befindet er sich nun in der
Gefängnispsychiatrie – und man rate mal, wo? Oben in Boise.
Dort, wo alles angefangen hat. Keine zehn Meilen vom Standort von
Randys Wohnmobil entfernt.
    Das alte Auto biegt auf den Interstate Highway ein, und Randy
stellt überrascht und gerührt fest, daß heute viel
mehr Meldungen als sonst eingegangen sind – keine Informationen,
sondern Glückwünsche. Zunächst beantwortet er nur die
Eingänge von anderen Eltern, Geschwistern, Ehemännern und
Freunden, die etwas über die Austin-Verbindung wissen
möchten; er schickt ihnen alles, was er hat.
    Während der langen Nacht, als das Fahrzeug das gebirgige
Colorado verläßt und in Wyoming auf die I-80
auffährt, träumt er von Kimbie Dee. Sie sieht aus wie im
Leichenschauhaus, aber sie sitzt neben ihm, schüttelt den
blonden Pferdeschwanz, wie sie es zu Lebzeiten immer getan hatte und
ermahnt ihn: »Daddy, Daddy, paß auf. Paß nur auf. Es
könnte schlimmer kommen, als du glaubst.«
    »Ich werde ihn finden«, sagt er zu ihr.
    »Es könnte schlimmer werden, als du glaubst.« Sie
küßt ihn sanft auf die Wange, wie jeden Morgen, bevor sie
sich auf den Schulweg begab, aber ihre Lippen sind so kalt an wie das
Kühlfach im

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