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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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eindringen, optimieren sie einfach alles.« Nach
längerem Zögern fügt er dann hinzu: »Wenn Sie
also etwas Ungewöhnliches bemerken – selbst wenn es Ihnen
irrelevant erscheint –, rufen Sie mich an. Noch
Fragen?«
    »Ich glaube nicht«, sagt Louie, und der Bildschirm wird
schwarz. Wo hat aufgelegt.
     
    Nach der Vernichtung von Kingman wandert der Wirbelsturm über
eine Woche in nordwestlicher Richtung. Wie auch immer die globalen
Medien sein ›Verhalten‹ und seine
›Charakteristik‹ beschreiben würden, es handelt sich
bei diesem Sturm im Grunde nur um ein ovales Tiefdruckgebiet in der
Troposphäre, das vom warmen Ozean gespeist wird, und daher ist
die wiederholte Aussage von Nachrichtensprechern und XV-Stars,
daß der Orkan keine ›Rücksicht auf die Menschen
nähme‹, schlichtweg Unsinn. Ein Wirbelsturm, der
tatsächlich Rücksicht auf die Menschen nähme,
wäre schon eher eines Kommentars wert.
    Der Orkan passiert die Inseln, die während des Zweiten
Weltkrieges Berühmtheit erlangt haben, wobei seine hohe
Flutwelle an die Strände brandet und vielen von ihnen neue
Konturen verleiht. Die Todesopfer auf den Karolinen und den
Marshall-Inseln gehen in die Hunderte, aber die Berichterstattung
läßt stetig nach – XV, wie zuvor schon das Fernsehen,
lebt vom Reiz des Neuen, und wenn man die Zerstörung eines
›Inselparadieses‹ miterlebt hat, hat man alle gesehen. In
diesem Fall trifft das um so mehr zu, weil die offensichtliche Armut
und der Schmutz es den Medien erschwert, den Ort als Paradies zu
deklarieren (und dadurch verliert seine Zerstörung zugleich an
Schrecken), wobei der Vorgang sich zudem noch in einer
stürmischen, pechschwarzen Nacht abspielt, wo ohnehin fast
nichts zu sehen ist. Also wird Insel um Insel von Wind und Wellen
heimgesucht, mit Hunderten Toten und verwüsteten Dörfern,
aber das Interesse der unter dem Nachfragedruck der
Öffentlichkeit stehenden Medien nimmt von Mal zu Mal ab. Ein
Publikum, das sich im Zeitalter von XV virtuell in Kriege und Gewalt
hineinversetzt, blendet das Geschehen auf den Pazifikinseln
gähnend aus.
    Das liegt aber nicht daran, daß die in ihren zerstörten
Häusern ertrunkenen Menschen braune Haut gehabt hatten – im
Jahre 2028 trifft das auf einen großen Teil des XV-Publikums zu
–, aber sie sind halt so weit weg, und obwohl ständig
wiederholt wird, daß es sich um den größten
Wirbelsturm der Menschheitsgeschichte handelt, ist er nur aus dem
Orbit in voller Größe zu erkennen, und unten auf der Erde,
die den Horizont der Menschen begrenzt, manifestiert er sich nur als
heftiger Wind, Regen und ein paar große Wellen. Kishima, der
größte Star im japanischen XV-Abenteuer-Kanal, steht
für zwei Tage im Rampenlicht der Öffentlichkeit, als er
ankündigt, sich von einem Helikopter im Kielwasser des
Wirbelsturms absetzen zu lassen und auf dieser Fährte so weit zu
surfen, bis er irgendwo Land erreicht, aber auch das wird bald
langweilig, als die zugeschalteten Leute merken, daß er
müde wird, das kalte Wasser sehr angenehm findet und trotz
seiner Furcht die Gewißheit hat, daß er in kurzer
Entfernung von einem Rettungshubschrauber eskortiert wird.
    Sie wissen, daß der Wirbelsturm ›Clem‹ eine
große Sache ist und daß es Ärger gibt, wenn sie
nicht darüber berichten, aber weder TV noch XV will es gelingen,
den Vorgang unterhaltsam zu gestalten.
    Die Ausläufer des Wirbelsturms ›Clem‹ streifen
Saipan gegen zwei Uhr in der Nacht zum 21. Juni. Zufällig
hält sich dort gerade Lance auf, ein Reporter für Extraponet, und sucht hektisch nach einem Unterschlupf –
sein Sender hat ihn in dieses üble Wetter hinausgeschickt, um es
zu ›untersuchen‹, woraufhin er von seinen Leibwächtern
getrennt wurde und nun jede Orientierung verloren hat. Sein Redakteur
versucht schon die ganze Zeit, ihn mittels Transponder zu
lokalisieren, aber die hierfür benötigte Richtantenne ist
bei diesem starken Wind nutzlos. Immerhin besteht noch eine
Funkverbindung, und Lance macht sich auf die Suche nach bekannten
Landmarken. Er stürzt zweimal, und einmal wird er von einem
kleinen umherfliegenden Brett getroffen; schließlich bewegt er
sich nur noch kriechend vorwärts, wobei ihm schlammiges Wasser
ins Gesicht spritzt.
    Dann sieht er ein helles orangefarbenes Glühen, und nachdem
er sich das Wasser aus den Augen gerieben hat, gelingt es ihm, den
Ursprung zu orten. »Conrad Hotel«, sagt er laut.
    Die Stimme des Redakteurs in seinem Ohr sagt: »Ha! Jetzt
haben

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