Die Mutter aller Stürme

Zeit, sich in Sicherheit zu bringen, und von allen
anwesenden Menschen ist er noch der agilste. Es ertönen Schreie,
dumpfe Schläge, Stöße.
    Um ihn herum ist es dunkel. Er hört Schreie und Stöhnen.
Ein paar Leute rufen Namen, aber die meisten schreien nur.
    Er versucht, den linken Arm zu bewegen, aber er ist gebrochen und
taub. Der rechte Arm ist neben seinem Körper eingeklemmt. Ein
schwerer Druck lastet auf seiner Brust, und er ringt nach Luft.
    Ganz langsam füllt sich das Loch, in dem sein Kopf liegt, mit
eiskaltem Wasser. Als es die Ohren erreicht, verstummen die
angsterfüllten Schreie der Menschen; es dauert noch lange, bis
auch sein Gesicht bedeckt ist, und noch in seinen letzten Sekunden
bäumt er sich unter dem unüberwindlichen Gewicht auf der
Brust auf.
    Der Redakteur bekommt den Vorgang minutiös mit; er weiß
bereits, daß das einer der besten XV-Beiträge des Jahres
wird. Achthundert Millionen Zuschauer erleben es live beziehungsweise
in den beiden Wiederholungen mit, die später am Tag gesendet
werden.
    Nach zwei Tagen haben Privatdetektive im Auftrag einiger XV-Sender
ermittelt, daß das marode Altersheim einer Gruppe von
hawaiianischen Ärzten gehörte und praktisch in keinem Punkt
den baulichen Sicherheitsstandards entsprach. Außer Lance waren
dreihundert alte Menschen aus verschiedenen amerikanischen
Städten, die hier von ihren Ersparnissen den Lebensabend
verbringen wollten, ums Leben gekommen.
    Wie sich außerdem herausstellte, schlagen die Besitzer einen
beträchtlichen Profit aus dem Vorgang, denn das Gebäude,
die Einrichtung und die alten Menschen waren alle hoch
versichert.
    Aber das ist noch gar nichts im Vergleich zu den Profiten, die XV
nun einfährt. Plötzlich treten über tausend Verwandte
auf den Plan, die beflissen um die alten Menschen unter den
Trümmern des verrotteten Hotels trauern, und XV erzielt in den
USA höhere Einschaltquoten als in allen anderen Ländern der
Erde zusammen.
    Passionet versucht, Synthi Venture vorzeitig aus dem Urlaub
zu holen, um ihr die Berichterstattung zu übertragen. Sie
weigert sich, was der Sache aber keinen Abbruch tut. Kurzfristig
bilden Rock und Quaz ein Team, und weil sie beide Synthi sehr
vermissen, kommt eine Rivalin, Surface O’Malley, ins Spiel. Sie
hat gerade auf dem japanischen Markt eine Marketingaktion für
ihr Haarfärbemittel durchgeführt und bringt nun eine Art
Neuauflage der Titelseite, während die Ermittlungen gegen
die ›Verschwörung der Ärzte‹ laufen, welche
für die ›Hölle im Hotel des Todes‹ verantwortlich
zeichnen. Das Publikum spürt schier Rocks gerechten Zorn,
Quaz’ kalte Entschlossenheit, der Sache auf den Grund zu gehen
und die Bastarde festzunageln sowie den Mut von Surface und ihre
Entschlossenheit, Teil des Teams zu sein.
    Passionet fliegt eine große Anzahl trauernder
Verwandter ein, um sie von Surface befragen zu lassen. Sie hat ein
warmes, herzliches Wesen, das Vertrauen schafft, und zudem vermittelt
sie sehr überzeugend das Gefühl, zwischen Rock und Quaz zu
schwanken; bei einer solchen Geschichte handelt es sich
natürlich um eine unglückliche Liebe, und Millionen
Zuschauer weinen mit ihr, als Rock und Quaz befinden, daß keine
Frau zwischen sie treten dürfe, weil sie der Sache nämlich
auf den Grund gehen müssen. (Aber nicht, bevor Rock mit ihr am
sturmgepeitschten Strand Champagner getrunken und sie im Mondlicht
lustvoll durchgevögelt hat und Quaz ihr auf der Promenade das
Höschen unter dem leichten Kleid heruntergezogen und sie in
einer Seitenstraße von hinten genommen hat – wobei Quaz
verloren hat, als es darum ging, durch das Werfen einer Münze zu
ermitteln, wer von ihnen die Rolle des bösen Buben
übernehmen mußte.)
    Surface O’Malley ist ein Volltreffer, und was Passionet dabei am meisten würdigt, ist die Tatsache, daß sie
nicht zuviel Ähnlichkeit mit Synthi Venture aufweist, sondern
über genügend eigenes Profil verfügt, so daß
sich eine Rivalität konstruieren läßt; mindestens ein
Jahr lang werden die Sendungen von Streitigkeiten dominiert werden,
bis die beiden sich zusammengerauft haben.
    In der Zwischenzeit werten Rock und Quaz die
Hauptbeweisstücke aus, welche die Detektive von Passionet schon am ersten Tag gefunden hatten, und präsentieren sie den
hawaiianischen Ärzten, die indes alles bestreiten und mit einer
Klage drohen. Die Männer, die in Rocks Identität
schlüpfen, geben sich erneut der Illusion hin, daß sie
Kosmopoliten seien und über eine