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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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wir Ihren Standort.«
    »Hervorragend; dann schickt mir ein Taxi oder so
was.«
    »Im Moment geht überhaupt nichts, Lance. Sie sollten
lieber versuchen, ins Hotel zu gelangen. Der Zipline ist
entgleist, und die Straßen sind unterspült –
vielleicht bekommen Sie ein Zimmer.«
    »Ich sehe aber kein Schild mit der Aufschrift ›Zimmer
frei‹«, nuschelt er beim Kriechen. Das Wasser kühlt
Hände und Füße schnell aus. Er glaubt, einen Schuh
verloren zu haben, ist sich dessen aber nicht ganz sicher.
    »Es ist im Grunde gar kein Hotel, sondern ein
Altersheim«, erläutert der Redakteur. »Aber vielleicht
geben sie Ihnen ein Zimmer. Sie werden dort sicher gastfreundlich
aufgenommen, denn alte Leute sind eifrige XV-Konsumenten, und
außerdem handelt es sich laut Reiseführer überwiegend
um Amerikaner.«
    Als Lance das Vestibül betritt, werden Wind und Regen abrupt
ausgeblendet; er hat den Eindruck, sich aus einem Fluß gezogen
zu haben. Er schnappt nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und
kommt nur mühsam auf die Füße. Dann klopft er an die
Tür und versucht sie zu öffnen. Sie schwingt leicht
auf.
    Es sind ungefähr hundert Leute, die dort in der Lobby stehen;
sofort überkommt Lance der Gedanke, die Arbeiter müssen
sich aus dem Staub gemacht haben. Zwei oder drei Personen blicken
furchtsam drein, als ob sie ihn erkennen würden. Er
schließt die Tür hinter sich.
    Das Gebäude ist mindestens hundert Jahre alt, und er
spürt das Ächzen der alten Balken unter den
Füßen.
    Ein älterer, gut gekleideter Mann mit Jacket und Fliege
nähert sich ihm und fragt: »Gehören Sie zu den
Managern, die hier wohnen?«

»Ich bin Reporter«, erwidert Lance. »Ich arbeite
für Extraponet und suche hier Schutz vor dem
Sturm.«
    »Sie werden hier nicht lange in Sicherheit sein«, unkt
eine ältere Dame in Jeans und Pullover.
    Der Mann ignoriert sie und sagt: »Wir haben uns schon
überlegt, ob wir alle im Keller unterbringen können. Er ist
zwar nicht sehr tief, aber immer noch besser als hier oben. Und dann
gibt es noch einmal die gleiche Anzahl Leute, die ihre Zimmer nicht
verlassen wollen – wir können leider nichts für sie
tun –, und außerdem befinden sich noch einige
Rollstuhlfahrer im Erdgeschoß. Wir stehen kurz vor der
Abstimmung, die Kellertür einzuschlagen und nach unten zu gehen
– sie haben sie nämlich abgeschlossen.«
    Lance nickt. Ein Stöhnen ertönt, und das alte Haus
schwankt leicht. »Äh… in diesem Fall bringt Demokratie
uns nicht weiter. Ich werde die Tür einschlagen.«
    Sie führen ihn zu ihr hin. Sie wirkt recht massiv, aber der
Rahmen macht keinen allzu soliden Eindruck.
    Vier harte, kurz angesetzte Tritte, die er während seiner
Ausbildung erlernt hat, und die Tür fliegt auf. Alle
applaudieren.
    Die Stromversorgung funktioniert noch. Als er das Licht
anschaltet, sieht er, daß der Keller mindestens schon
fußhoch unter Wasser steht.
    »Ich weiß nicht«, gibt eine Frau zu bedenken. Sie
hat ihr graues Haar zu einer Turmfrisur hochgesteckt, was Lance bei
alten Damen schon immer besonders unattraktiv gefunden hat.
»Sieht so aus, als ob alles überschwemmt
wäre.«
    »Oh, halt den Mund, Kristin«, rüffelt sie der Mann
an ihrer Seite und schickt sich an, die nassen Stufen hinabzusteigen.
»Die Schuhe trocknen auch wieder.«
    »Na gut, du Knurrhahn«, meint sie und folgt ihm. Hand in
Hand stolpern sie die Stufen hinunter.
    Lance erkennt, daß die meisten Leute zwischen der Angst vor
dem bebenden und ächzenden Hotel und dem Abscheu vor dem unter
Wasser stehenden Keller schwanken; dann begibt er sich selbst an den
Treppenabstieg. Er weiß aber jetzt schon, daß
er…
    Kein Ingenieur würde sich die Mühe machen, die folgenden
Geschehnisse zu analysieren; bei dem Hotel handelt es sich
nämlich nicht um eine wichtige oder technisch interessante
Einrichtung wie die Raketen-Startanlage. Das Prinzip ist einfach:
unregelmäßige und gelochte Flächen weisen einen viel
höheren Luftwiderstand auf als glatte Flächen. Ob nun
zuerst das Dach abmontiert, eine Fensterscheibe zerbricht oder auch
nur eine Tür auffliegt, der Luftwiderstand erhöht sich
dramatisch.
    In einem Sekundenbruchteil verstärken sich die Schäden,
und es treten weitere Löcher und unregelmäßige
Flächen auf. Nach einem weiteren Sekundenbruchteil hat der
Luftwiderstand des Gebäudes sich vervielfacht.
    Das Conrad Hotel fällt zusammen wie ein Kartenhaus und
kollabiert zu einem Holzstapel. Nicht einmal Lance bleibt
genügend

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