Die Mutter der Königin (German Edition)
eile an seine Seite. «Habt Ihr gesprochen, Euer Gnaden?», frage ich ihn. «Habt Ihr uns sprechen gehört? Könnt Ihr mich hören?»
Jetzt ist auch die Königin an seiner Seite und berührt seine Hand. «Wach auf», sagt sie. Das ist alles, nie sagt sie mehr zu ihm. «Wach auf.»
Es ist unglaublich, aber er regt sich. Er tut es wirklich. Zum ersten Mal seit einem Jahr wendet er den Kopf, öffnet die Augen, sieht in unsere vollkommen ungläubigen Gesichter – ich weiß, dass er uns ansieht –, seufzt leise, schließt die Augen und schläft wieder ein.
«Ärzte!», schreit die Königin und eilt zur Tür, reißt sie auf und ruft nach den Herren, die es sich draußen im Audienzzimmer beim Essen und Trinken gutgehen lassen. «Der König ist wach!»
Sie stellen die Weingläser beiseite, lassen das Schachspiel stehen, wischen sich den Mund am Ärmel ab und kommen in den Raum gestolpert. Dann ziehen sie ihm die Lider hoch und leuchten ihm in die Augen, klopfen ihm an die Schläfen und piksen ihm mit Nadeln in die Hände. Aber er hat sich wieder dem Schlaf ergeben.
Einer wendet sich an mich. «Hat er gesprochen?»
«Nein, er hat nur die Augen geöffnet und geseufzt und ist dann wieder eingeschlafen.»
Er wirft einen Blick auf die Königin und senkt die Stimme. «Und sein Gesicht, was für ein Gesicht hat er gemacht, als er aufgewacht ist? Lag Verstehen in seinen Augen, oder waren sie leer wie die eines Idioten?»
Ich denke nach. «Eigentlich sah er aus wie immer, nur verschlafen. Glaubt Ihr, dass er jetzt aufwacht?»
Die Aufregung im Raum legt sich schnell wieder, als deutlich wird, dass der König sich nicht regt, obwohl sie noch immer an ihm zerren, auf ihn einklopfen und laut in seine Ohren sprechen.
«Nein», antwortet der Mann. «Er hat uns schon wieder verlassen.»
Die Königin dreht sich um, finster vor Ärger. «Könnt Ihr ihn nicht aufwecken? Schlagt ihn!»
«Nein.»
Der kleine Hof in Windsor hat sich längst an eine Routine gewöhnt, die sich um die Königin und ihren kleinen Sohn dreht, der gerade die ersten Worte spricht und von einer ausgestreckten Hand zur nächsten stolpert. Aber etwas verändert sich. Ich glaube, der König beginnt sich zu rühren. Sie haben ihn gepflegt, ihm zu essen gegeben und ihn gewaschen, aber sie haben die Heilungsversuche aufgegeben, denn nichts zeitigte die geringste Wirkung. Jetzt keimt in uns die Hoffnung, dass er irgendwann, wenn es für ihn so weit ist, ohne Arznei aus seinem Schlaf herausfindet.
Ich habe mir angewöhnt, am Vormittag an seinem Bett zu sitzen, abends wartet ihm eine andere Lady auf. Die Königin schaut nachmittags bei ihm herein. Wenn ich ihn beobachte, meine ich manchmal zu sehen, wie sein Schlaf leichter wird, und manchmal bin ich fast sicher, dass er hören kann, was wir sagen.
Natürlich frage ich mich, woran er sich erinnern wird, wenn er erwacht. Vor mehr als einem Jahr hat er etwas derart Schockierendes gesehen, dass er die Augen davor verschlossen hat und eingeschlafen ist. Die letzten Worte, die er gehört hat, waren meine: «Schaut nicht hin. Seht es nicht.» Wenn er die Augen aufschlägt und bereit ist, sich wieder umzusehen, so muss ich mich fragen, woran er sich erinnern wird, was er von mir halten wird und ob er glaubt, dass ich Schuld habe an seiner langen Reise durch die Dunkelheit und Stille.
Ich mache mir solche Sorgen, dass ich mir ein Herz fasse und die Königin frage, ob sie meint, der König werde uns die Schuld an seiner Krankheit geben.
Sie sieht mich offen an. «Ihr meint die schrecklichen Nachrichten aus Frankreich?», fragt sie.
«Die Art und Weise, wie er sie erfahren hat», gebe ich zurück. «Ihr wart verstört, der Herzog war bei Euch. Und ich. Glaubt Ihr, der König könnte denken, wir hätten ihm die schlechten Nachrichten mit mehr Umsicht überbringen sollen?»
«Ja», sagt sie. «Falls es ihm je wieder so gut geht, dass er uns hören kann, werden wir sagen, es tue uns leid, dass wir ihn nicht auf den Schock vorbereitet haben. Es war für uns alle schrecklich. Ich kann mich gar nicht mehr an diesen Abend erinnern. Ich glaube, ich bin in Ohnmacht gefallen, und der Herzog hat versucht, mich wiederzubeleben. Aber wie gesagt, ich erinnere mich nicht mehr.»
Ich stimme ihr zu, denn ich verstehe, dass dies der sicherste Weg für uns alle ist. «Ich erinnere mich auch nicht.»
Weihnachten feiern wir in der Halle von Windsor Castle. Ein kleines Festessen für einen traurig geschrumpften Haushalt, aber wir haben
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