Die Mutter der Königin (German Edition)
sieht sich um, als suchte sie verzweifelt etwas, ihr Blick schießt über die Menge. Ich habe Angst, dass sie mich sieht und begreift, dass ich sie nicht retten konnte. Selbst jetzt tue ich nichts, und ich werde auch nichts tun, um sie zu retten. Mir graut davor, dass sie mich beim Namen ruft und alle wissen, dass diese Witzfigur einst meine Freundin war. Ich schäme mich für sie. Doch sie sieht nicht in die Gesichter der um sie gedrängten Menge, die vor Aufregung strahlen, sie bittet um etwas. Inbrünstig fleht sie um etwas; und dann drückt ihr ein Soldat, ein einfacher englischer Soldat, ein Holzkreuz in die Hand, und sie klammert sich daran. Dann wird sie hochgehoben und auf den Scheiterhaufen geschubst.
Sie haben ihn so hoch aufgeschichtet, dass es schwer ist, sie hinaufzubekommen. Johanna rutscht mit den Füßen von den Sprossen der Leiter und kann sich nicht festhalten. Aber sie schieben sie unter Gejohle grob von hinten, die Hände auf ihrem Rücken, ihrem Po, ihren Oberschenkeln. Schließlich klettert ein Soldat hinter ihr die Leiter hoch, packt den groben Stoff ihres Gewands und wirft sie zur Seite wie einen Sack, dreht sie um und stellt sie rücklings an den Pfahl in der Mitte des Scheiterhaufens. Sie werfen ihm eine Kette hoch, die er mehrfach um sie wickelt und mit einem Bolzen hinter ihrem Rücken befestigt. Wie ein Handwerker zerrt er hier und da, dann steckt er ihr das Holzkreuz vorne ins Gewand, und nun drängt sich in der Menge unten ein Mönch vor und hält ein Kruzifix hoch. Sie starrt darauf, ohne mit der Wimper zu zucken, und zu meiner Schande sei gesagt, dass ich froh bin darüber, denn jetzt wird sie mich nicht ansehen: in meinem besten Kleid und der neuen Samthaube, zwischen all den lachenden und plaudernden Adligen.
Der Mönch geht am Fuß des Scheiterhaufens auf und ab und liest etwas Lateinisches vor, wahrscheinlich den rituellen Bann der Ketzer. Wegen der anfeuernden Schreie und der wachsenden Unruhe der Menge kann ich fast nichts verstehen. Von der Burg kommen die Männer mit den brennenden Fackeln und umkreisen den Scheiterhaufen, stecken ihn unten in Brand und lehnen dann ihre Fackeln gegen das Holz. Es ist nass, damit es langsam brennt und Jeanne möglichst große Qualen erleidet. Schon ist sie in Rauch gehüllt.
Ich sehe, wie sich ihre Lippen bewegen, sie sieht noch immer auf das hochgehaltene Kreuz, sie sagt jetzt: «Jesus, Jesus», immer und immer wieder, und einen Moment lang denke ich, vielleicht geschieht ein Wunder, vielleicht löscht ein Sturm das Feuer, vielleicht greifen die Armagnaken überraschend an. Doch nichts dergleichen geschieht, nur der dunkle Rauch steigt empor und umhüllt ihr blasses Gesicht und ihre betenden Lippen.
Das Feuer will nicht brennen, die Menge johlt den Soldaten zu, sie hätten einen schlechten Scheiterhaufen gebaut. Meine Zehen verkrampfen sich in meinen besten Schuhen. Die große Glocke beginnt zu läuten, langsam und feierlich, und auch wenn ich Johanna durch den dichten Rauch kaum mehr sehen kann, erkenne ich doch, wie sie den Kopf unter der großen Papiermitra wendet und lauscht. Und ich frage mich, ob sie durch das Läuten der Glocke die Stimmen der Engel hört und was sie jetzt zu ihr sagen.
Das Holz sackt in sich zusammen, und die Flammen züngeln höher. Innen ist der Haufen trockener – sie haben ihn schon vor Wochen aufgebaut –, und jetzt knistert es, und das Feuer lodert auf. Das flackernde Licht des Feuers fällt auf die baufälligen Häuser rings um den Platz, der Rauch wirbelt schneller empor, das helle Feuer wirft einen flackernden Glanz auf Johannas Gesicht, und sie sieht gen Himmel, ich erkenne deutlich, dass sie mit den Lippen den Namen Jesu formt. Dann lässt sie den Kopf sinken und ist still, wie ein Kind, das einschläft.
Einen Augenblick denke ich kindisch, sie wäre vielleicht wirklich eingeschlafen, dies sei vielleicht das Wunder, das Gott geschickt hat. Dann leckt eine Stichflamme an ihrem langen weißen Gewand, Flammen züngeln ihr den Rücken hoch, und die Papiermitra verfärbt sich braun und rollt sich ein. Sie ist still und stumm wie ein Steinengel, der Scheiterhaufen sackt in sich zusammen, und die hellen Flammen schlagen hoch.
Ich knirsche mit den Zähnen, meine Tante hält meine Hand umklammert. «Wehe, du wirst ohnmächtig», zischt sie. «Du musst stehen bleiben.» Und so stehen wir, halten einander mit ausdruckslosen Mienen an den Händen, als würde dieser Albtraum mir nicht so deutlich wie in
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