Die Mutter der Königin (German Edition)
Feuerbuchstaben geschrieben erklären, was für ein Ende eine Jungfrau erwartet, wenn sie sich über die Regeln der Männer hinwegsetzt und glaubt, ihr Schicksal selbst bestimmen zu können. Ich bin nicht nur hier, um zu bezeugen, was mit einer Ketzerin geschieht, sondern auch, was mit einer Frau geschieht, die mehr zu wissen glaubt als Männer.
Durch den Feuerschein blicke ich hinauf zur Burg. Die Magd Elizabeth schaut aus dem Fenster, und wir sehen uns blank vor Entsetzen an. Langsam streckt sie die Hand aus und macht Johannas Zeichen von dem Tag am Wassergraben in der heißen Sonne. Mit dem Zeigefinger zeichnet Elizabeth das Rad des Schicksals in die Luft, das eine Frau so hoch in die Welt werfen kann, dass sie über einen König herrscht, oder aber zu etwas wie diesem herunterzerrt, einem schmählichen, qualvollen Tod.
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Burg von St. Pol, Artois
FRÜHJAHR 1433
N ach einigen weiteren Monaten bei meinem Onkel Jean und einem Jahr bei unseren Verwandten in Brienne findet meine Mutter, ich sei hinreichend geschliffen, um nach Hause zurückzukehren. Meine Eltern schmieden Hochzeitspläne. So trifft mich die Nachricht vom Tode der Duchess of Bedford in unserer Burg in St. Pol. Der Herzog, heißt es, sei verloren ohne sie. Dann trifft ein Brief von meinem Onkel Louis ein, dem Kanzler des Herzogs.
«Jacquetta, es geht um dich», ruft mich meine Mutter in ihre Gemächer. Sie sitzt, mein Vater steht hinter ihrem Stuhl. Sie sehen mich streng an, und ich lasse den Tag schnell Revue passieren. Ich habe meine vielen Aufgaben noch nicht erledigt. Heute Morgen habe ich die Kirche geschwänzt, mein Gemach ist noch nicht aufgeräumt, und ich trödele mit meiner Handarbeit, aber mein Vater würde doch gewiss nicht in die Gemächer meiner Mutter kommen, um mich deswegen zu rügen.
«Ja, gnädige Mutter?»
Meine Mutter zögert und sieht meinen Vater an, bevor sie fortfährt. «Du weißt, dass dein Vater und ich einen Gemahl für dich suchen und überlegen, wer zu dir passen könnte. Wir hatten auch gehofft, dass … Doch das spielt alles keine Rolle mehr, denn du kannst dich glücklich schätzen. Wir haben ein äußerst vorteilhaftes Angebot erhalten. Um es kurz zu machen: Dein Onkel Louis hat dich dem Duke of Bedford als Gemahlin vorgeschlagen.»
Ich bin so überrascht, dass es mir die Sprache verschlägt.
«Eine große Ehre», sagt mein Vater knapp. «Eine hohe Stellung. Du wirst eine englische Herzogin, die erste Dame am Hofe nach der Königinmutter in England und die allererste in Frankreich. Du solltest auf die Knie sinken und Gott danken.»
«Was?»
Meine Mutter nickt zur Bestätigung. Die beiden starren mich an, sie erwarten, dass ich etwas sage.
«Aber seine Frau ist doch gerade erst gestorben», sage ich kläglich.
«Ja, das stimmt. Dein Onkel Louis hat das sehr gut eingefädelt, deinen Namen so früh ins Spiel zu bringen.»
«Hat der Herzog dich nicht in Rouen gesehen?», fragt meine Mutter. «Und dann noch einmal in Paris?»
«Ja, aber da war er verheiratet», sage ich töricht. «Er hat mich gesehen …» Ich erinnere mich an seinen dunklen Raubtierblick, als ich mich hinter meiner Tante vor ihm versteckt habe. Ich erinnere mich an die düstere Halle und an den Mann, der mir etwas ins Ohr flüsterte und dann hinausging, um die Jungfrau von Orléans zu verbrennen. «Und die Herzogin war auch da. Ich habe sie gekannt. Wir haben sie viel öfter gesehen als ihn.»
Mein Vater zuckt die Achseln. «Auf jeden Fall hat ihm dein Aussehen gefallen, dein Onkel hat ihm deinen Namen eingeflüstert – und nun wirst du seine Frau.»
«Aber er ist so alt», sage ich leise zu meiner Mutter.
«So alt nun auch wieder nicht. Etwas über vierzig», gibt sie zurück.
«Hast du nicht gesagt, er wäre krank?», frage ich meinen Vater.
«Umso besser für dich», findet meine Mutter. Offensichtlich meint sie, ein älterer Gemahl sei womöglich weniger fordernd als ein junger, und wenn er stürbe, wäre ich mit siebzehn Herzoginwitwe, das scheint noch besser, als mit siebzehn Herzogin zu sein.
«Ich sehne mich nicht nach einer solchen Ehre», erwidere ich kläglich. «Kann ich das ablehnen? Ich fürchte, ich bin seiner nicht würdig.»
«Wir entstammen einer der größten Familien der Christenheit», entgegnet mein Vater großspurig. «Und wir sind mit dem heiligen römischen Kaiser deutscher Nation verwandt. Wie solltest du seiner nicht würdig sein?»
«Du kannst das nicht ablehnen», meint auch
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