Die Mutter der Königin (German Edition)
anhält.
«Mein Gott, wie alt bist du?»
«Fünfzehn in diesem Jahr, Euer Gnaden.»
«Bist du mit deinem Vater hier?»
«Mit meinem Onkel, Euer Gnaden. Mein Vater ist Pierre, der neue Graf von Luxemburg.»
«Der neue Graf?», fragt er und starrt mir auf den Mund.
«Nach dem Tod der Demoiselle von Luxemburg», murmele ich. «Jetzt ist mein Vater der Graf von Luxemburg, er beerbt sie.»
«Natürlich.»
Es gibt nichts mehr zu sagen, aber er starrt mich immer noch an, hält mich fest, eine Hand an meinem Ellbogen, die andere am Saum meiner Kapuze.
«Euer Gnaden?», flüstere ich, weil ich hoffe, dass er sich besinnt und mich loslässt.
«Jacquetta?» Er flüstert meinen Namen, als spräche er zu sich selbst.
«Kann ich Euch in irgendeiner Weise zu Diensten sein?» Ich will eigentlich sagen: «Bitte, lasst mich los», aber so etwas darf ein Mädchen meines Alters nicht zu dem größten Mann Frankreichs sagen.
Er schluckt. «In der Tat, ich glaube, das kannst du. Jacquetta, du wirst eine schöne Frau sein, eine wunderschöne junge Frau.»
Ich sehe mich um. Sein Gefolge wartet auf ihn, die Männer rühren sich nicht vom Fleck und tun so, als würden sie nichts sehen und nichts hören. Keiner von ihnen wird ihm sagen, er soll mich loslassen, und ich darf es nicht.
«Hast du einen Liebsten? Hat dir irgendein unverschämter kleiner Page einen Kuss gegeben?»
«Nein, Mylord. Natürlich nicht …» Ich stottere, als wäre ich im Unrecht, als hätte ich etwas so Dummes oder Vulgäres getan, wie er es vermutet. Er kichert, als wollte er mich nachsichtig behandeln, aber gleichzeitig hält er meinen Ellbogen so fest, als wäre er böse mit mir. Ich lehne mich zurück, will mich aus seinem Griff, aus seinem gierigen Blick befreien. «Mein Vater ist sehr streng», sage ich kläglich. «Die Ehre meiner Familie … Ich wohne bei meinem Onkel Jean und seiner Gemahlin Jehanne. Sie würden niemals erlauben …»
«Du wünschst dir keinen Gemahl?», fragt er ungläubig. «Denkst du, wenn du abends im Bett liegst, nicht an den Mann, der dich heiraten will? Träumst du nicht von einem jungen Gemahl, der wie ein Troubadour zu dir kommt und von Liebe spricht?»
Inzwischen zittere ich. Was für ein Albtraum! Sein Griff bleibt fest, jetzt kommt mir sein Adlergesicht immer näher, und er flüstert mir etwas ins Ohr. Ich glaube, er muss verrückt geworden sein. Er sieht mich an, als würde er mich am liebsten fressen. Ich schaudere bei dem Gefühl, dass sich vor mir eine Welt öffnet, von der ich nichts wissen will.
«Nein», flüstere ich. Doch als er nicht von mir ablässt, sondern mich noch näher an sich zieht, werde ich ärgerlich. Plötzlich fällt mir ein, wer und was ich bin. «Wenn Ihr gestattet, Euer Gnaden, ich bin Jungfrau», platzt es aus mir heraus. «Eine Jungfrau aus dem Hause Luxemburg. Kein Mann hat mich je berührt, kein Mann würde es wagen. Ich stand unter dem Schutz der Demoiselle von Luxemburg, einer Jungfrau wie ich. Ich könnte ein Einhorn fangen. Niemand darf mich befragen, wie Ihr es tut.»
Aus dem Gemach der Herzogin dringt ein Geräusch. Die Tür geht auf, und er lässt mich augenblicklich los, wie ein Junge, der dabei ertappt wird, wie er Gebäck stiehlt. Er dreht sich um und streckt beide Hände nach seiner unscheinbaren kleinen Frau aus. «Meine Liebe! Ich wollte dich gerade aufsuchen!»
Ihrem aufmerksamen Blick entgeht nichts. Mein blasses Gesicht, die Kapuze in meinem Nacken, seine rosige Jovialität. «Nun, ich bin hier», antwortet sie trocken. «Also brauchst du nicht mehr nach mir zu suchen. Und wie ich sehe, hast du stattdessen die kleine Jacquetta St. Pol gefunden.»
Ich knickse wieder, und er richtet den Blick auf mich, als sähe er mich zum ersten Mal. «Guten Tag», sagt er wie nebenher. Und zu seiner Gemahlin: «Ich muss gehen. Sie verpfuschen alles. Ich muss gehen.»
Sie nickt ihm lächelnd zu. Er dreht sich um und geht hinaus, und seine Männer marschieren mit schwerem Schritt hinter ihm her. Mir graust davor, dass mich seine Gemahlin Anne fragt, ob ihr Gatte mit mir gesprochen hat, was ich mit ihm in der dunklen Halle zu schaffen hatte, warum er mir von Liebe und Troubadouren erzählt hat. Denn solche Fragen könnte ich gar nicht beantworten. Ich weiß nicht, was er getan hat, ich weiß nicht, warum er mich angefasst hat. Mir ist übel, und meine Knie zittern bei dem Gedanken an seinen Blick und sein anzügliches Geflüster. Doch ich weiß, dass er kein Recht dazu hatte. Ich
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