Die Mutter der Königin (German Edition)
zurückzufinden. Als Erstes höre ich, wie der Alchemist die Kerzen löscht. Ich muss ohnmächtig vornübergesunken sein und ein paar Kerzen mitgerissen haben. Der Edelknecht Woodville hält mich in den Armen, stützt meinen Kopf, und mein Gemahl spritzt mir kaltes Wasser ins Gesicht.
«Was hast du gesehen?», will mein Lord wissen, als ich flatternd die Augenlider aufschlage.
«Ich weiß es nicht.» Aus irgendeinem Grund warnt mich ein Stich der Angst. Ich will es ihm nicht sagen. Ich will dem Mann, der Jeanne bei lebendigem Leibe verbrannt hat, ihren Namen nicht nennen.
«Was hat sie gesagt?» Wütend starrt er den Edelknecht und den Alchemisten an. «Als sie umgekippt ist? Sie hat doch etwas gesagt. Ich habe etwas gehört.»
«Hat sie ‹Jeanne› gesagt?», fragt der Alchemist. «Ich glaube, ja.»
Die beiden sehen Woodville an.
«Sie hat gesagt: ‹Es ist getan›», lügt er mühelos.
«Was kann sie damit meinen?» Der Herzog sieht mich an. «Was hast du damit gemeint, Jacquetta?»
«Vielleicht die Universität Eurer Gnaden in Caen?», schlägt Woodville vor. «Ich glaube, sie hat ‹Caen› gesagt und dann: ‹Es ist getan.›»
«Ich habe die Universität in Caen gesehen, die Euer Gnaden geplant hat», greife ich das Stichwort auf. «Vollendet. Schön. Das habe ich gesagt: ‹Es ist getan.›»
Er lächelt, er ist zufrieden. «Nun, das ist eine gute Vision», sagt er ermutigt. «Das ist ein guter flüchtiger Blick in eine sichere und glückliche Zukunft. Das sind gute Nachrichten. Und das Beste daran ist, dass wir gesehen haben, dass sie es kann.»
Er reicht mir die Hand und hilft mir auf die Füße. «Also», sagt er mit einem triumphierenden Lächeln zum Alchemisten, «ich bringe sie morgen wieder her, nach der Frühmesse, nachdem sie das Fasten gebrochen hat. Schafft einen Stuhl herbei, damit sie sich beim nächsten Mal setzen kann, und bereitet den Raum für sie vor. Wir werden sehen, was sie uns zu sagen hat. Sie kann es jedenfalls, nicht wahr?»
«Ohne Zweifel», pflichtet der Alchemist ihm bei. «Ich bereite alles vor.»
Er verneigt sich und geht wieder nach nebenan. Woodville hebt die übrigen Kerzen auf und pustet sie aus, und mein Lord rückt den Spiegel gerade. Ich lehne mich einen Augenblick an einen Bogengang zwischen den Regalen, da schaut mein Gemahl auf und sieht mich an.
«Stell dich da hin.» Er zeigt auf die Mitte des Bogens und beobachtet, wie ich ihm gehorche. Ich stehe still im Rahmen des Bogens und überlege, was er von mir erwartet. Er starrt mich an, als wäre ich ein Bild oder ein Wandteppich, als würde er mich als Objekt betrachten, wie eine Neuanschaffung, die gerahmt oder übersetzt oder ins Regal geräumt werden muss. Er kneift die Augen zusammen, als er mich begutachtet wie eine neu angeschaffte Statue.
«Ich bin so froh, dass ich dich geheiratet habe», sagt er, doch in seiner Stimme schwingt nicht die geringste Zuneigung mit, nur der zufriedene Tonfall eines Mannes, der seiner Sammlung etwas Schönes hinzugefügt hat – und das zu einem guten Preis. «Was auch immer es mich kostet bei den Burgundern, bei wem auch immer, ich bin so froh, dass ich dich geheiratet habe. Du bist mein Schatz.»
Ich werfe Richard Woodville einen gereizten Blick zu, der die Beurteilung der Neuerwerbung gehört haben wird, doch der ist damit beschäftigt, den Spiegel zu verhängen und sieht mich nicht an.
Jeden Morgen begleitet mich mein Lord in die Bibliothek, wo sie mich vor den Spiegel setzen, die Kerzen anzünden und mich bitten, in die Helligkeit zu blicken und ihnen mitzuteilen, was ich sehe. Mich überkommt eine Benommenheit, nicht ganz wie Schlaf, eher wie ein Traum, und manchmal erstehen auf der fließenden, silbrigen Oberfläche des Spiegels eigenartige Visionen. Ich sehe einen Säugling in einer Wiege, einen Ring in Form einer goldenen Krone, der an einem tropfenden Faden hängt, und eines Morgens wende ich mich schreiend vom Spiegel ab, denn dort habe ich eine Schlacht gesehen und dahinter eine weitere Schlacht, viele Schlachten und viele sterbende Männer, im Nebel, im Schnee, auf einem Friedhof.
«Hast du ihre Standarten erkannt?», will mein Gemahl wissen, als man mir ein Glas Dünnbier in die Hand drückt. «Trink. Hast du die Standarten gesehen? Du hast nichts Genaues gesagt. Hast du gesehen, wo die Schlachten stattfanden? Konntest du die Armeen unterscheiden?»
Ich schüttele den Kopf.
«Konntest du sehen, bei welcher Stadt gekämpft wurde? Hast du etwas
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