Die Mutter der Königin (German Edition)
oder übermorgen brauchen sie dich vielleicht, damit du Flüssigkeit aus einer Flasche schüttest oder in einer Schüssel rührst oder ein wenig Staub siebst. Mehr nicht, nichts Schwierigeres, als was es in der Milchkammer deiner Mutter zu tun gab.»
Ich sehe ihn ausdruckslos an.
«Es geht nur um deine Berührung», sagt er. «Die reine Berührung.»
In einem Kolben brodelt eine Flüssigkeit, die anschließend durch einen Schlauch in eine Schüssel auf einem Bett aus Eis fließt. Einer der Männer, die den Vorgang beaufsichtigen, kommt auf uns zu, wischt sich die Hände an der Schürze ab und verbeugt sich vor meinem Gemahl.
«Die Jungfrau», sagt mein Mann und zeigt auf mich, als wäre ich ein Gegenstand wie die Flüssigkeit im Kolben oder das Eisen im Ofen. Ich zucke zusammen, denn er hat mich mit Jeannes Namen bedacht. «Wie versprochen. Ich habe sie. Melusines Tochter und eine Jungfrau. Kein Mann hat sie je berührt.»
Ich möchte dem Herrn die Hand geben, doch er fährt zurück. Dann lacht er darüber und sagt mit einem Lächeln zu meinem Gemahl: «Ich wage kaum, sie anzufassen. Nein, das kann ich nicht!»
So legt er die Hand auf den Rücken, verneigt sich tief vor mir und begrüßt mich: «Seid willkommen, Lady Bedford. Eure Anwesenheit hier ist schon lange geboten. Wir haben Euch sehnlichst erwartet. Wir haben gehofft, dass Ihr kommt. Ihr bringt Harmonie, die Kraft des Mondes und des Wassers, Eure Berührung wird alle Dinge rein machen.»
Unbehaglich trete ich von einem Fuß auf den anderen und werfe einen Blick auf meinen Gemahl. Er sieht mich anerkennend an.
«Ich habe sie gefunden und sofort erkannt, was sie für uns sein könnte», sagt er. «Was sie tun könnte. Ich wusste, dass sie Luna für uns sein kann. Durch ihre Adern rinnt Wasser, und ihr Herz ist rein.»
«Kann sie wahrsagen?», fragt der Mann gespannt.
«Sie sagt, sie hat es nie versucht, aber sie hat die Zukunft schon vorhergesehen», antwortet mein Gemahl. «Sollen wir sie auf die Probe stellen?»
«In der Bibliothek.» Wir folgen dem Mann durch die Tür. Auf ein Fingerschnippen meines Gatten verschwinden die beiden Schreiber in einem Nebenraum, während der Alchemist und der Edelknecht Woodville ein Tuch von dem größten Standspiegel ziehen, den ich je gesehen habe. Er ist vollkommen rund und aus schimmerndem Silber wie der Vollmond.
«Schließt die Läden», bestimmt der Duke atemlos. «Und zündet Kerzen an.» Ich höre die Aufregung in seiner Stimme, und das macht mir Angst. Sie platzieren mich vor dem großen Spiegel und stellen ringsumher Kerzen auf, sodass ich von Feuer umgeben bin. Doch die tanzenden, zuckenden Flammen sind so hell, dass ich kaum etwas erkennen kann.
«Fragt sie», sagt mein Gemahl zu dem Alchemisten. «Bei Gott, ich bin so aufgeregt, ich bringe kein Wort heraus. Aber überanstrengt sie nicht, lasst uns nur sehen, ob sie die Gabe besitzt.»
«Schaut in den Spiegel», befiehlt der Mann mir leise. «Schaut in den Spiegel und träumt. Und, Jungfer, was seht Ihr?»
Ich sehe in den Spiegel. Es ist doch wohl augenscheinlich, was ich erblicke? Mich, in einem samtenen Kleid, nach der neuesten Mode geschnitten, eine Hörnerhaube auf dem Kopf. Mein goldenes Haar, gebändigt in einem dichten Netz, umrahmt mein Gesicht, und meine Schuhe sind aus wunderschönem blauen Leder. Ich habe mich noch nie in voller Größe in einem Spiegel gesehen. Ich hebe das Kleid ein wenig, um meine Schuhe zu bewundern, und der Alchemist hüstelt, als wollte er mich daran erinnern, dass ich nicht hier bin, um mich der Eitelkeit hinzugeben. «Was seht Ihr, wenn Ihr ganz tief hineinschaut, Herzogin?»
Die vielen Kerzen blenden mich, sie waschen die Farbe aus dem Kleid, selbst aus den blauen Schuhen, ja, aus den Regalen und den Büchern hinter mir, die immer dunkler und verschwommener werden, je länger ich hinsehe.
«Schaut tief in den Spiegel», dringt der Mann noch einmal mit leiser Stimme auf mich ein. «Was seht Ihr, Lady Bedford? Was seht Ihr?»
Das Licht ist übermächtig, es ist zu hell, um irgendetwas zu sehen. Geblendet von Dutzenden von Kerzen, erkenne ich nicht einmal mehr mein eigenes Antlitz. Und dann sehe ich sie, so deutlich wie an dem Tag, den wir am Wassergraben verbrachten, so strahlend und lachend wie zu Lebzeiten, vor dem Augenblick, da sie die Karte Le Pendu zog, des Gehängten in einem Aufzug so blau wie meine Schuhe.
«Jeanne», sage ich leise mit tiefem Bedauern. «Die Jungfrau. Oh, Jeanne.»
Ich habe Mühe
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