Die Mutter der Königin (German Edition)
trotzen muss, die seine Freunde und Berater sein sollten. Dann wird er meinen Lord, den Herzog, an seiner Seite brauchen.»
«Werden wir nach England reisen? Muss ich in England leben?», frage ich ängstlich.
«Es ist Euer Zuhause», sagt er schlicht. «Und selbst im schlimmsten Fall ist ein Morgen englischen Bodens so viel wert wie zehn Quadratmeilen in Frankreich.»
Ich sehe ihn ausdruckslos an. «Ihr Engländer seid alle gleich. Ihr bildet Euch ein, von Gott gesegnet zu sein – nur weil Ihr in Azincourt den Langbogen hattet.»
Er lacht. «Wir sind von Gott gesegnet», erwidert er. «Das denken wir ganz zu Recht. Und wenn wir nach England gehen, habe ich vielleicht Zeit, Euch mein Zuhause zu zeigen. Vielleicht stimmt Ihr mir dann zu.»
Eine Freude überkommt mich, als hätte er mir etwas Wunderbares versprochen. «Wo seid Ihr denn zu Hause?», frage ich.
«In Grafton, Northamptonshire», sagt er, und ich höre die tiefe Verbundenheit in seiner Stimme. «Wahrscheinlich die schönste Gegend im besten Land der Welt.»
Ein letzter Versuch steht an, mit Hilfe des Spiegels wahrzusagen, bevor er für die Reise nach England verstaut wird. Mein Lord wünscht unbedingt zu erfahren, ob es für ihn sicher ist, Frankreich zu verlassen. Der falsche Armagnaken-König hat weder Geld noch Truppen, zudem wird er von seinen höfischen Günstlingen schlecht beraten. Trotzdem ist mein Lord John in Sorge, denn wenn er nach England geht, ist niemand mehr da, um Frankreich gegen diesen Mann zu halten, der behauptet, König zu sein. Ich versage völlig, ich komme meiner Pflicht als Gemahlin, ihm zu raten, nicht nach, denn ich sehe nichts. Sie setzen mich auf einen Stuhl, und ich starre endlos in den Widerschein der hellen Kerzen im Spiegel, bis mir schwindlig wird und ich – weit davon entfernt, in Ohnmacht zu fallen – drohe einzuschlafen. Zwei Stunden lang steht mein Lord hinter mir und rüttelt mich an der Schulter, wenn er sieht, dass mein Kopf sinkt, bis der Alchemist leise sagt: «Ich glaube, heute sieht sie nichts, Mylord», und der Herzog sich umdreht und ohne ein weiteres Wort den Raum verlässt.
Der Alchemist hilft mir vom Stuhl, Woodville pustet die Kerzen aus und öffnet die Läden, um den Rauch hinauszulassen. Die schmale Sichel des Neumonds schaut zu mir herein, und ich mache einen Knicks, drehe die Münzen in meiner Tasche um und wünsche mir etwas. Der Alchemist und Woodville wechseln einen Blick, als hätten sie den ganzen Abend mit einer Bauernmagd verschwendet, die vor dem Neumond knickst und sich einen Liebsten wünscht, aber nichts weiß und keine Visionen hat, mit der man nur seine Zeit verschwendet.
«Macht nichts», sagt Woodville fröhlich und reicht mir den Arm. «Wir brechen morgen früh nach England auf, die nächsten vier Wochen wird Euch niemand um Vorhersagen bitten.»
«Nehmen wir den Spiegel mit?», frage ich besorgt.
«Den Spiegel und einige Bücher, doch die Gefäße und der Ofen und die Schmiede bleiben natürlich hier. Hier wird weiter gearbeitet, während wir weg sind.»
«Und haben sie irgendetwas entdeckt?»
Er nickt. «O ja, mein Lord hat Silber und Gold zu einer größeren Reinheit verfeinert, als es je zuvor jemandem gelungen ist. Er arbeitet an neuen Metallen, neuen Legierungen, die stärker sind oder geschmeidiger. Und natürlich könnte er den Stein selbst herstellen …»
«Den Stein?»
«Sie nennen ihn den Stein der Weisen, der Metall in Gold verwandelt und Wasser in elixir vitae , das dem Besitzer ewiges Leben verleiht.»
«Gibt es so etwas?»
Er zuckt die Achseln. «Es gibt viele Berichte darüber. In den alten Manuskripten, die er hier übersetzen lässt, ist der Stein weithin bekannt. In der ganzen Christenheit und im Osten arbeiten im Augenblick sicher Hunderte, ja, Tausende von Männern daran. Doch mein Lord ist ihnen allen voraus. Wenn er ihn findet, wenn Ihr ihm helfen könntet, ihn zu finden, können wir Frankreich und England Frieden bringen.»
Der Lärm der Burg, wo man packt und sich bereit macht für die große Reise, weckt mich im Morgengrauen, und als die Sonne aufgeht, gehe ich zur Morgenandacht in die Kapelle. Nach dem Gottesdienst macht sich der Priester daran, die Heiligenbilder, das Kruzifix und die Monstranz einzupacken. Wir nehmen fast alles mit.
In meinen Gemächern verstauen die Hofdamen die Kleider in großen Reisetruhen und rufen die Pagen zum Verschnüren und die Haushofmeister zum Versiegeln. Die Schmuckschatullen tragen sie bei sich,
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