Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mutter der Königin (German Edition)

Die Mutter der Königin (German Edition)

Titel: Die Mutter der Königin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
Vom Netzwerk:
Äste haben meine Jacke zerfetzt, die Haube wurde mir vom Kopf gerissen, sie baumelt an einem Band, meine Haare haben sich gelöst und sind voller Zweige. Ich schluchze leise vor Angst und Schock. Merry knabbert an einem Strauch, sie zupft aufgebracht daran herum, während sich ihre Ohren in alle Richtungen drehen.
    Ich fasse sie am Zügel, damit sie nicht davonläuft, und sehe mich um. Der Wald ist kühl, dunkel und still bis auf das Vogelgezwitscher hoch oben im Geäst und das Summen der Insekten. Keine marschierenden Männer, keine rumpelnden Karren, nichts. Ich kann noch nicht einmal sagen, woher ich gekommen bin und wie weit die Entfernung zur Straße ist. Merrys blinde Flucht kam mir endlos vor. Die Stute ist nicht geradeaus gelaufen, wir sind im Zickzack zwischen den Bäumen hindurchgestürmt, und ich kann den Weg nicht zurückverfolgen.
    «Verdammt», fluche ich leise wie ein Engländer. «Merry, wir haben uns verlaufen.»
    Ich weiß, dass Woodville mich suchen kommt, vielleicht kann er Merrys kleinen Hufabdrücken folgen. Doch wenn der umgestürzte Baum ein Hinterhalt war, kämpft er womöglich mit meinem Gemahl um sein Leben, und sie hatten noch keine Zeit, an mich zu denken. Wenn sie im Kampf unterliegen, gefangen genommen oder getötet werden, dann wird niemand nach mir suchen. Dann bin ich wirklich in Gefahr: allein und verloren im Feindesland. So oder so bringe ich mich am besten selbst in Sicherheit, wenn ich kann.
    Ich weiß, dass wir gen Norden nach Calais unterwegs waren, und ich erinnere mich genau an die große Karte in der Bibliothek meines Gemahls. Wenn es mir gelingt, wieder auf die Straße nach Norden zu gelangen, stoße ich auf viele Dörfer, Kirchen und Klöster, wo ich Gastfreundschaft und Hilfe finden kann. Es ist eine vielbereiste Straße, auf der ich gewiss Engländer treffen werde. Mein Titel wird mich ihrer Hilfe versichern. Aber dafür muss ich zuerst die Straße finden. Ich suche den Boden nach Merrys Hufabdrücken ab, und in der weichen Erde entdecke ich tatsächlich einen Abdruck und dann noch einen, dann eine kleine Lücke, wo Laub den Boden bedeckt, doch dahinter kann ich die Spur wieder aufnehmen. Ich führe Merry mit der rechten Hand am Zügel und sage mit einer Stimme, die selbstbewusst klingen soll: «Also, du dummes Mädchen, jetzt müssen wir den Heimweg finden.» Ich gehe in die Richtung, aus der wir gekommen sind, und sie folgt mir mit gesenktem Kopf, als tue es ihr leid, dass sie mich in so eine Lage gebracht hat.
    Es kommt mir wie Stunden vor. Die Spur verliert sich nach einer Weile, wo der Waldboden so dick mit Laub und Zweigen bedeckt ist, dass keine Abdrücke mehr zu sehen sind. Ich gehe aufs Geratewohl weiter, doch je länger wir gehen, desto mehr bange ich, dass wir ziellos umherirren oder vielleicht sogar im Kreis gehen wie verzauberte Ritter im Märchenwald. Als mir dieser Gedanke kommt, bin ich kaum überrascht, dass ich ein Plätschern höre und wir an einen kleinen Bach mit einem Teich gelangen. Er ist fast wie eine Quelle, rund und von grünem Moos begrenzt. Einen Augenblick lang erwarte ich fast, Melusine könne aus dem verzauberten Teich auftauchen, um mir, ihrer Tochter, zu helfen, doch nichts geschieht. Und so binde ich Merry an einen Baum, wasche mir das Gesicht, trinke etwas Wasser, dann führe ich das Pferd an den Bach, wo es seinen hellen Kopf senkt und mit tiefen Zügen leise säuft.
    Auf die kleine Lichtung um den Bach dringen Sonnenstrahlen durch das dichte Blätterdach. Merrys Zügel um die Hand gewickelt, setze ich mich in die Sonne, um mich ein wenig auszuruhen. Gleich will ich wieder aufstehen, und dann werden wir uns so wenden, dass wir die Sonne links von uns haben, und so werden wir weitergehen, nach Norden, und gewiss auch zur Straße nach Calais gelangen, wo man schon nach mir suchen wird. Ich bin so müde, und die Sonne ist so warm, dass ich mich an einen Baumstamm lehne und die Augen schließe. Im Nu schlafe ich ein.

    Sein Ross ließ der Ritter bei seinen Kameraden zurück und folgte, eine brennende Fackel in der Hand, ihrer Spur zu Fuß durch den Wald und rief ihren Namen, rief immer und immer wieder ihren Namen. Unheimlich war ihm der Wald bei Nacht. Einmal erhaschte er einen Blick auf das Funkeln dunkler Augen und trat fluchend einen Schritt zurück, doch da schien der blasse Rumpf eines Hirsches auf und verschwand in der Dunkelheit. Als der Mond aufstieg, bemerkte er, dass er ohne Fackel mehr sehen würde, und so löschte er sie in

Weitere Kostenlose Bücher