Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
sagte Maria.
Caspar hatte beinahe vergessen, dass die junge Frau auch noch da war. Er musterte sie mit seinen tief liegenden Augen. Sie war so schmächtig, so schwach. Wenn er wollte, könnte er ihr die Arme und Beine wie verkohltes Feuerholz brechen.
»Er ist zurückgekehrt, um uns zu holen«, sagte sie. »Ich werde hier nicht bloß herumsitzen und mit ansehen, wie er stirbt.«
»Ich habe doch gesagt … wir können nichts für ihn tun.«
»Doch«, sagte Maria, »können wir schon.«
Caspar hatte keine Ahnung, was sie meinte. Josef war sich auch nicht sicher, bis sie sich zu ihm drehte und sagte: »Zacharias.«
Als Maria noch sehr klein gewesen war, hatte ihr Onkel Zacharias, ein Arzt, in dem kleinen Dorf Emmaus, zehn Meilen nordwestlich von Jerusalem, Wunden vernäht und Hustenerkrankungen behandelt. Mittlerweile war er über siebzig und genoss ein geruhsames Leben mit seiner Frau Elisabeth und ihrem jungen Sohn. Soweit Maria wusste, hatte er in über zehn Jahren keinen Verband mehr angelegt. Und mit seiner eigenen Gesundheit ging es bergab. Doch sie mussten es versuchen.
Maria wandte sich wieder an Caspar. »Ich kenne jemanden, der ihm vielleicht helfen kann. Einen Arzt. Einen Verwandten, dem wir trauen können.«
»Wo ist er?«
»In Emmaus.«
Caspar schüttelte den Kopf.
»Das ist zu weit.«
»Wir können es in zwei Stunden dorthin schaffen, wenn wir die Straße nehmen.«
»Die Straße? Hast du nicht zugehört? Jeder einzelne Soldat des judäischen Heeres wird auf den Straßen nach uns Ausschau halten.«
»Auf den Straßen, die nach Bethlehem und wieder hinausführen, ja. Und wenn sie uns dort nicht finden, werden sie auf den anderen Straßen und in der Wüste suchen. Aber nicht in einem kleinen Dorf wie Emmaus. Noch nicht.«
Ich könnte dir die Knochen wie verkohltes Feuerholz brechen …
»Wir können hier in der Wüste bleiben, bis wir tot sind, oder wir können versuchen, nach Emmaus zu gelangen – wo es Nahrung und Wasser gibt. Wo wir ein Versteck finden und die Chance, ihn zu retten.«
»Wenn wir nicht vorher umgebracht werden.«
»Bringt uns nur dorthin. Bringt uns nach Emmaus. Von dort aus können wir uns um uns selbst kümmern.«
Caspar versuchte, sich eine bessere Möglichkeit einfallen zu lassen. Doch er wusste, dass sie recht hatte. Wenn sie sich in der Wüste versteckten, würden sie alle in ein paar Tagen tot sein. Wenn sie versuchten, das Dorf zu erreichen, war die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass sie auf den Straßen Soldaten begegneten. Doch zumindest hätten sie eine reelle Chance.
»Du hast es selbst gesagt«, meinte Maria. »Ihr steht in seiner Schuld. Das tun wir alle.«
Balthasar brach das Schweigen mit einem weiteren Hustenanfall. Caspar betrachtete ihn. Den mächtigen Geist von Antiochia. Den Mann, der ihm das Leben gerettet hatte.
Auf einmal spürte Balthasar, dass er getragen wurde, hochgehalten von zwei um seine Brust geschlungenen Armen, von einem Mann mit breiten weißen Flügeln, die in einem sanften Rhythmus über ihm schlugen. Einem Mann, dessen Gesicht er zwar nicht sehen konnte, das er aber irgendwie kannte . Da war keine Angst vor diesem Fremden, keine Angst davor, fallen gelassen zu werden. Da waren lediglich der Wind in seinen Ohren und der Flügelschlag.
Unter ihnen in der Wüste lag eine Stadt. Eine Zeltstadt am Fuß eines großen Berges. Zehntausende – vielleicht Hunderttausende Menschen – bewegten sich im Kreis und tanzten. Sie tanzten um etwas Riesengroßes, etwas Glänzendes und Goldenes. Balthasar wünschte sich sehnlichst, er wäre einer von ihnen. Um das riesige glänzende goldene Etwas genauer betrachten zu können. Vielleicht ließen sich Stücke davon abbrechen und in seinem Gewand verbergen. Doch dorthin brachte der Mann mit Flügeln ihn nicht.
Sie flogen an dem großen Berg und seinen tanzenden Massen vorüber, stiegen näher zur Oberfläche der Wüste hinab, bis von einem Moment zum nächsten aus dem Sand ein Meer wurde. Nicht das seltsame, unendliche Meer aus Zeit und Raum, in dem Balthasar das Universum gespiegelt gesehen hatte, sondern ein richtiges, irdisches Gewässer. Sie bewegten sich über der Wasseroberfläche hinweg, und zwar schneller, als Balthasar für möglich gehalten hätte, ohne dass ihm die Kraft des Windes den Leib in Stücke riss.
Sie flogen, bis das Wasser in Küste überging, und Küste in Wüste, und aus der Wüste wurde eine glänzende Sonnenstadt. Eine Stadt voller Hieroglyphen und Tempel, voller
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