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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seth Grahame-Smith
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Schlucke Sand getrunken, sich das Fleisch von den Knochen gerissen und ihr eigenes Blut mit den Händen abgeschöpft und an ihre zersprungenen Lippen geführt hatten, um den Durst zu löschen, der sie in den Wahnsinn trieb. Es gab eine Redensart in Judäa: »Die Wüste ist voll von den Gebeinen starker Männer.«
    Die Hügel wurden immer steiler, je weiter die Flüchtlinge gen Westen ritten. Allmählich erhoben sich zu beiden Seiten Felsen aus der Wüste und hüllten sie ein. Verschluckten sie. Wie Wassertropfen, die aus einem Meer in einen schmalen Kanal gequetscht wurden, wurden die Flüchtlinge in eine Schlucht geschleust – ein riesiger Riss in den Knochen der Erde, der sich durch die ineinander verschlungenen Beige- und Brauntöne schlängelte.
    Als sie der Schlucht nun schon eine gute Meile folgten und ihre Kamele zwischen den zerklüfteten Felswänden hindurchlenkten, fing das Baby zu weinen an, und Maria besann sich, dass der Junge seit Stunden nicht mehr gestillt worden war.
    Sie hielten an und setzten sich in den Schatten der Felswände – Maria mit dem Baby, das unter ihrem Gewand verborgen war, neben ihr Josef, der kleine Schlucke aus einer genähten Lederflasche trank. Caspar hatte Balthasar auf den Boden gelegt und ihm die Wunde mit Wasser ausgewaschen. Doch sobald er das Blutgerinnsel weggewischt hatte, quoll neues Blut aus der Stichwunde. Es war hoffnungslos.
    Keiner sprach ein Wort. Melchyor saß im Schneidersitz da und zeichnete mit dem Schwert Bilder in den Sand. Falls ihn das, was er vorhin gesehen hatte, beunruhigte oder er Reue angesichts der von ihm ausgelöschten Leben empfand, verriet es sein Gesicht nicht. Er wirkte völlig losgelöst von seiner Umgebung, völlig eins mit seiner derzeitigen Lage.
    Caspar hingegen war offensichtlich bedrückt. Nicht aufgrund der Schreckensbilder ermordeter Säuglinge. Die hatte er an einem Ort abgelegt, an dem sie für immer unauffindbar bleiben würden, unten in den Grüften, in denen er all die entsetzlichen Dinge vergrub, die er gesehen und getan hatte. Vielmehr bedrückten ihn verschiedene Tatsachen.
    Die Tatsache, dass sie auf keiner Straße in Judäa sicher reisen konnten. Die Tatsache, dass er die Wüste nicht gut genug kannte, um sich darin zu verstecken oder sie zu überleben. Die Tatsache, dass seine größte Chance zu entkommen derzeit vor ihm auf dem Boden im Sterben lag. Die Tatsache, dass ihnen in den nächsten Stunden das Wasser ausgehen würde.
    Und was dann? Der Zimmermann und seine Frau würden sie nur aufhalten. Das Baby würde in ein oder zwei Tagen sterben, weil es der Sonne ausgesetzt war oder verdurstete, als Nächstes die junge Frau, bis nur noch drei Verrückte übrig waren, die sich mit den Händen ihr eigenes Blut an die aufgesprungenen Lippen führten – jedenfalls angenommen, die Männer des Herodes fanden sie nicht vorher und schlachteten sie ab. Letzteres war bei Weitem das wahrscheinlichste Szenario. Es war hoffnungslos. Alles.
    Schließlich brach Balthasar das Schweigen, indem er mehrmals pfeifend hustete, ohne das Bewusstsein wiederzuerlangen. Nach dem Hustenanfall sah Josef, dass Balthasar Blut aus dem Mund lief. Seine Gesichtsfarbe verschlechterte sich zunehmend. Mittlerweile zitterte er.
    »Wird er sterben?«, fragte Josef.
    »Ja«, sagte Caspar.
    Seine Sachlichkeit erschreckte Josef. Es war, als hätte er sich nach der Farbe von Balthasars Gewand und nicht nach seinem Leben erkundigt.
    »›Ja‹? Das ist alles?«
    »Ja.«
    »Gibt es denn nichts, was wir tun können?«
    »Ich habe schon Männer mit einer solchen Verletzung gesehen. Da kann man nichts machen. Den Einbruch der Dunkelheit wird er nicht mehr erleben.«
    »Aber er hat uns das Leben gerettet. Uns allen. Wir stehen in seiner Schuld.«
    »Und deshalb schleppe ich ihn mit mir herum, anstatt ihn allein sterben zu lassen.«
    »Ihn auf dem Rücken eines Kamels zu transportieren wird ihm nicht helfen. Wir müssen doch irgendetwas …«
    »Ich habe dir doch gesagt, dass er TOT ist!«
    Das Wort prallte von den Wänden der Schlucht ab und verhallte in den unbekannten Biegungen vor ihnen. Es folgte ein weiteres ausgedehntes Schweigen. Nur die Geräusche der Kamele, die ihr Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerten, und von Melchyor, der mit seinem Schwert in der Erde herumkratzte.
    »Nach dem, was wir getan haben«, sagte Caspar, »wird Herodes uns ganz Judäa auf den Hals hetzen. Er ist tot, und wir leben. Wir haben noch eine Chance. Er nicht.«
    »Nein«,

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