Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
die Brust des Mannes. Der Äthiopier und der Grieche saßen in der Nähe der Tür, bereit zu helfen, falls Zacharias sie brauchen sollte. Seine Nichte Maria wartete nebenan mit dem Baby. Sie konnte kein Blut sehen, und hier gab es reichlich davon. Man hatte den Mann niedergestochen, und die Klinge hatte seinen rechten Lungenflügel perforiert.
»Erstickt er?«, fragte Josef.
»Er ertrinkt«, sagte Zacharias, während er weiterarbeitete.
»Er ertrinkt? Aber wie kann er …«
»Die Luft dringt durch die Wunde ein und drückt auf den Lungenflügel. Das Blut sitzt in der Lunge fest und ertränkt ihn von innen. Und wenn wir die Luft entweichen lassen? Der Lungenflügel bläht sich auf, das Blut läuft ab, und vielleicht, vielleicht, vielleicht bleibt er am Leben. Jetzt sei still, und lass mich arbeiten.«
Seine Ehefrau Elisabeth assistierte ihrem Mann bei der Arbeit, genau wie vor zwanzig Jahren, als er muntere siebenundfünfzig gewesen war und sie eine Witwe von sechsunddreißig Jahren. Braunäugig mit Haaren von der gleichen Farbe. Kinderlos und wunderschön. Ihr zu begegnen war das Großartigste in Zacharias’ Leben gewesen. Ein Wunder. Und obwohl sich mit den Jahren herausgestellt hatte, dass sie unfruchtbar war, hatte er jeden Augenblick ihrer Ehe wie einen Schatz gehütet – glücklich, im Alter eine Gefährtin gefunden zu haben.
Doch dann, vor sieben Jahren, als er siebzig war und Elisabeth neunundvierzig, war sie schwanger geworden. Anfangs hatte Zacharias seine Zweifel gehabt. Hatte lange Zeit gebraucht, die Gabe anzunehmen, die Gott ihm geschenkt hatte. Doch ihr Bauch war immer runder geworden, und sie hatte einen gesunden Jungen zur Welt gebracht, obwohl sie längst nicht mehr im gebärfähigen Alter war. Noch ein Wunder. Ein Wunder, dem sie den Namen Johannes gegeben hatten.
Langsam und sorgfältig führte Zacharias ein kleines Metallröhrchen in die Wunde ein – ganz und gar darauf konzentriert, die Hände ruhig zu halten. Dies waren die gefährlichsten Sekunden. Diejenigen, die über Leben oder Tod des Patienten entschieden. Wenn man es richtig machte, würde zischend Luft durch das Röhrchen entweichen, sofort gefolgt von sehr viel Blut. Sobald die Lunge wieder aufgebläht war, ließ sich der Patient zusammenflicken und würde – so Gott wollte – genesen. Wenn man es falsch machte, brachte man ihn nur dazu, schneller zu ertrinken.
Elisabeth hielt ein Tuch fest um das Röhrchen gepresst, um das wenige Blut aufzusaugen, das herausrann. Sie hatte erst einmal im Leben gesehen, wie ihr Mann dies versucht hatte: bei einem Dorfbewohner, der von einem judäischen Offizier niedergestochen worden war, weil er auf die Straße gespuckt hatte. Das war vor fünfzehn Jahren gewesen, bevor Zacharias’ Hände gezittert hatten. Bevor sich ein trüber Schleier über seine Augen gelegt hatte. Und jener Patient war genau hier in diesem Zimmer gestorben. Auf diesem Tisch.
Sie war froh gewesen, als ihr Mann entschied, die Medizin an den Nagel zu hängen, diese letzten Jahre nur für sich zu leben. Für seine Familie. Sie war froh, dass Johannes noch einen Vater hatte, der sein Wissen an ihn weitergeben konnte. Ihm beibringen konnte, was es hieß, ein Mann zu sein. Zumal sie allein wusste, dass ihr Sohn etwas Besonderes war. Dass es ihm vorherbestimmt war, Außergewöhnliches zu leisten.
Kurz vor Johannes’ Geburt war ihr im Traum ein Mann mit herrlichen weißen Flügeln erschienen. Er hatte ihr gesagt, dass ihre Empfängnis tatsächlich ein Wunder sei und dass die Geburt ihres Kindes dem Messias den Weg bereiten werde. »Der Sohn Gottes wird auf Erden wandeln«, sagte er, »geboren von einer anderen aus deinem Geschlecht. Und dein Sohn wird sein Prophet sein.«
Johannes wartete draußen bei Maria. Sie saß auf einer kleinen Bank in der Nähe der geschlossenen Tür. Johannes stand neben ihr und starrte das eingewickelte Baby in ihren Armen an. Das Baby starrte zurück, sah mit seinen neuen, blauen Augen nach oben. Augen, die nicht weiter als Armeslänge sehen konnten. Dennoch starrte er jetzt aufmerksam das Gesicht über sich an. Fasziniert. Zu ihm hingezogen. Johannes starrte mit der gleichen Faszination zurück. Er hatte schon andere Babys gesehen. Doch der hier war anders als seine anderen Cousins. Johannes verspürte eine seltsame, starke Seelenverwandtschaft. Und auch eine leichte Traurigkeit.
»Darf ich ihn halten?«
Maria war sich nicht sicher. Johannes war zu jung, als dass man ihm etwas derart
Weitere Kostenlose Bücher