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Die nachhaltige Pflege von Holzböden

Die nachhaltige Pflege von Holzböden

Titel: Die nachhaltige Pflege von Holzböden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Wiles
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Berliner Mauer noch stand und die Welt sich im beruhigenden Gleichgewicht des Schreckens befand.
    Die schlurfenden Schuhe vor mir in der Schlange waren sicherlich billig, aus recyceltem Bakelit und verendeten Tennisbällen gefertigt, und in der Luft hing ein leicht bittermandelartiger Staubgeruch, mit einem Hauch von inkontinenter Sterblichkeit. Aber vielleicht war es auch nur die Umgebung, die auf die Menge abfärbte, so wie grelles Neonlicht jedes noch so geringe Anzeichen von Erschöpfung in einem Gesicht hervorhebt und es jeglicher Farbe beraubt? Wahrscheinlich hatte das reich gefältelte Rokoko-Dekor noch nie einen Staubwedel gesehen; die schweren roten Portieren sahen so aus, als verschwänden die Schatten in ihren Falten nicht, wenn man den Stoff auseinanderzog, und die Vergoldungen hatten Ekzeme. Konnte es sein, dass das Foyer eine Art von negativem Dorian-Gray-Einfluss auf die Besucher ausübte, durch den die Cherubim und Seraphim an der Decke jung blieben, indem sie alles, was frisch, jugendlich und stilvoll war, aus den Musikliebhabern dort unten heraussogen?
    Meine Konzertkarte war in ein blau liniertes Blatt Papier eingeschlagen, vielleicht aus einem Schulheft. Ich faltete es mit einem Gefühl müder Vertrautheit auseinander, aber die Handschrift darauf war nicht die von Oskar; sie war tapsig und ungestüm wie ein überfreundlicher Hund.
    Treffen wir uns nachher in der Bar!
Michael (Freund von Oskar!)
    Na, von mir aus.
    Wie war das Konzert? Das bin ich auch früher schon gefragt worden, wenn ich, selten genug, mal ein Konzert besucht habe, und dann wusste ich nie, was ich sagen sollte. Normalerweise würde ich einfach antworten: »Ach, ganz gut«, mit anderen Worten, niemand hatte sich so krass verspielt, dass es mir aufgefallen wäre, keiner im Publikum war Amok gelaufen und nichts hatte Feuer gefangen. Musik war erklungen, und ich hatte mich gelangweilt bis unter die Haarwurzeln.
    Wie war das Konzert? Nicht unerträglich. Ich überraschte mich selbst damit, dass ich die Musik wiedererkannte. Alle klassische Musik ist natürlich halbwegs wiedererkennbar, nach dem Motto: Das kenn ich doch von dem Sowieso-Jingle. Aber ich wusste, dass ich Der Tod und das Mädchen schon mal gehört hatte, vielleicht in diesem Sigourney-Weaver-Film, und das mit der Forelle entpuppte sich als die Intro-Melodie einer BBC -Serie aus den Neunzigern, an die ich mich nur noch schemenhaft erinnerte. Auf diese Weise kulturell verankert – und erleichtert, dass ich keiner zweistündigen Experimentalmusiktortur ausgesetzt sein würde, die klang wie ein schreiendes Baby und eine über Pflastersteine schleifende Schaufel – konnte ich mich entspannt zurücklehnen. Um dann allerdings gleich über die psychologischen Voraussetzungen nachzugrübeln, die andere hier im Gegensatz zu mir besaßen und die sie befähigten, der Musik mit intensivem Genuss zu lauschen, während mein Genuss daran bestenfalls sporadisch blieb. Bei klassischer Musik lese ich am liebsten die Zeitung oder erledige irgendwas im Haushalt. Wenn ich gezwungen bin, einfach nur zuzuhören, frage ich mich gleich, was mir wohl alles entgeht, ob es an einer Fehlbildung der Knöchelchen in meinem Innenohr liegt, dass klassische Musik für mich wenig mehr darstellt als ein Hintergrundgeräusch, eine gediegene akustische Tapete. Gezwungen, zwei Stunden lang auf diese Tapete zu starren, wanderten meine Gedanken unwillkürlich ab.
    Da mir die Höhen des ästhetischen Genusses offenbar nicht zugänglich sind, ließ ich mich von körperlichen Empfindungen ablenken. Ich dachte an meine Beine und ob der Sitz bequem war. Ich fragte mich, ob die Höhlenmenschen wohl schon so gesessen hatten oder ob es eine Erfindung der Neuzeit war. Meine Beine waren wie mürrische Gäste, die ich auf das Konzert mitgeschleppt hatte und jetzt nicht enttäuschen wollte, doch meine Besorgtheit um sie stimmte sie nur noch ungnädiger. Nach und nach verengte mein Blickwinkel sich auf mikroskopische Probleme. Ich wurde von der Furcht befallen, ein halbes Dutzend Blutzellen hätten sich zusammengeklumpt und wanderten durch die Beingefäße, auf der Suche nach einer Lebensader, die sie verstopfen könnten. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich ein pulsierender Sack voller Blut war, angewiesen auf die reibungslose Kooperation von Abermillionen einzelner Zellen. Diese wimmelnden Werktätigen hatten bisher

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