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Die nachhaltige Pflege von Holzböden

Die nachhaltige Pflege von Holzböden

Titel: Die nachhaltige Pflege von Holzböden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Wiles
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wenig Gelegenheit gehabt, ihre Beschwerden und Forderungen bei der Kontrollinstanz vorzubringen, da sie nur in Form von unklarem Unwohlsein wahrgenommen wurden, das ich meiner Hypochondrie oder meinem Katzenjammer zuschrieb oder einfach verdrängte. Aber jetzt marschierte vielleicht gerade eine wütende Delegation von Blutzellen eine Hauptarterie empor und trug eine verkrustete Masse ihrer abgestorbenen Brüder vor sich her, um diesen Klumpen aus Protest ins Großhirn zu rammen und den Produktionsprozess endgültig zum Erliegen zu bringen. Streik, Gehirnschlag, Ende.
    Doch die Musik brach nicht plötzlich ab, wie ich befürchtet hatte, eine abrupte Stille, weil mein Leben vorbei war. (»Rebellierende Beine«, würde es nach der Untersuchung der Todesursache heißen. »Es war das lange Sitzen. Das konnten sie nicht ausstehen.«) Nach kaum mehr als einer Stunde kam die Vorstellung zu ihrem natürlichen Abschluss. Die Musiker standen auf, um sich für den Applaus zu verbeugen, und ich versuchte, einen möglichen Michael unter ihnen zu erspähen. Sie wirkten sehr mit sich zufrieden. Ich erinnerte mich, wie Oskar nach Konzerten aussah – angespannte Wangen, der Mund wie ein Strich, katzenhaft verengte Augen. Eine Maske, ein starres, gezwungenes Lächeln, das sich in einen Ausdruck von Wut, Betrübnis oder Belustigung hätte verwandeln können, wenn die Spannung von ihm abfiel. Aber die Spannung fiel nicht von ihm ab, und das Lächeln schnappte nur übergangslos zurück zu seinem normalen Gesichtsausdruck, wie die Türen eines Fernsehschranks vor der leeren Mattscheibe zufielen.
    Die Bar war nicht im gleichen Thromboserot gehalten wie das übrige Gebäude, sondern mit dunkelgrünen, in Prägedruck gemusterten Tapeten ausgestattet. Grüne Räume in Theatern sind grün, weil es die erholsamste Farbe für die vom Scheinwerferlicht gestressten Augen der Schauspieler ist. Dieser hier, ein großzügiger, hoher Raum, wirkte seltsam klaustrophobisch, weil die grüne Tapete sich über die Decke hinweg fortsetzte und diverse Stuckaturen überzog, die sich als Wülste und Beulen darunter abhoben. Von der auffälligsten Beule in der Mitte der Decke hing ein Kronleuchter aus der Sowjetzeit herab und verbreitete kaltes, unruhiges Licht, ein Triumph proletarischer Ästhetik und Elektrik über die bourgeoisen Konventionen von Schönheit und Sicherheit. Das windschiefe, rautenförmige Amalgam aus Metallstreben und vergilbten Stoffstreifen ähnelte einem Kinderdrachen, der an einem Hochspannungsmast hängen geblieben war, und hätte viel besser in das brutale Bauwerk auf der anderen Straßenseite gepasst. Inmitten der grünen Tapeten wirkte das Ding wie ein abstrakter Eiswürfel in einem Glas Crème de menthe.
    Der Tresen dagegen war eine stilvolle Angelegenheit, ein langes, edel ausgestattetes Teakboot im Trockendock, bemannt von den bestgekleideten Leuten im Raum, mit großen, goldgerahmten Spiegeln im Hintergrund. Allerdings war die Thekenfläche durch ein Plastiklaminat verunstaltet, das sich stellenweise schon wellte und ablöste. Ich bestellte einen Gin Tonic, auf Englisch, einer Sprache, die der Barkeeper offensichtlich verstand. Ein Handy klingelte hinter mir, die Kasse, in der mein Geld verschwand, war neu. Der Westen, die Heimat, rückte auf einmal näher, als während meines ganzen bisherigen Aufenthalts hier, und war zugleich doch sehr weit weg. Mir kam es so vor, als wäre Oskars Wohnung eine Tauchkapsel in fernen Meerestiefen, und ich wäre nur kurz aufgetaucht, eine isolierte Luftblase in fremder Atmosphäre. Eine schreckliche Welle von Heimweh spülte über mich hinweg und ließ mich als Häuflein Elend zurück. Wie viel länger würde ich es hier noch aushalten müssen? Mindestens eine Woche, hatte Oskar gesagt, aber wohl eher zwei oder mehr. Im Moment schien mir sogar das Ende der ersten Woche unmöglich weit entfernt, ebenso wie der Anfang; die Zeit dehnte sich endlos in beide Richtungen. Ich fand einen Sitzplatz und nippte an meinem Drink. War ich vielleicht immer noch verkatert? Sicher würde der Gin mich beleben. Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, das war die Devise, um den Kater abzuwehren, das klumpende Blut mit einem Schuss Hochprozentigem verdünnen, damit die Dinge wieder in Bewegung kamen.
    Einige der Konzertbesucher, Ehepaare zumeist, hatten sich an den Tischen

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