Die nachhaltige Pflege von Holzböden
funktionieren konnte, wenn es regelmäÃig die kolonialen Widersprüche vergaÃ, die seiner Geschichte zugrunde lagen â oder es hatte ohnehin nie existiert.
Die Ãra der Macht und Selbstgewissheit, die es erlaubte, solche Schneisen durch die eigene Hauptstadt zu schlagen, hatte offenbar davor Halt gemacht, sich auch noch Gott zurechtzustutzen. Wie die Orientteppiche, die in ihrem Muster einen absichtlichen Fehler enthalten, war die Allee aus geistlichen Gründen ihrer Einheitlichkeit beraubt. Eine orthodoxe Kirche thronte auf einem Platz, der von der Allee durchschnitten wurde, ein mit vielen Türmchen versehener Kubus, dessen schneeweiÃer Putz an allen Ecken und Enden straff gezogen wirkte, wie ein gestärktes Bettlaken, das eine zwangsneurotische Oberin unsinnig stramm eingeschlagen hatte, und obendrauf eine pilzartig wuchernde Masse von kupfergrünen Kuppeln. Opulente Vergoldungen schimmerten durch den Regenschleier, und selbst in der Düsternis leuchtete der weiÃe Putz, als erzeugte er seine eigene Energie und strahlte sie unablässig in das Kühlbecken der Stadt ab. Vielleicht war die Kirche uralt, aber so perfekt erhalten, dass sie ebenso gut erst gestern hätte erbaut sein können, ein frischer Tofuwürfel in der trüben Misosuppe der Stadt.
Auf der anderen Seite der Allee war der Platz erweitert worden, um den architektonischen Beitrag des zwanzigsten Jahrhunderts in die Szenerie einzufügen: eine Anhäufung von fleckigen, regengestreiften Betonquadern, die gleichzeitig einen Eindruck von ungeheurer Schwere und mottenzerfressener Fadenscheinigkeit vermittelten. Als wären die unschuldigen grauen Hallen am Südufer der Themse im Regen aufgequollen und zu Ungeheuern aus gedunsenem Zement und Asbesttumoren geworden, die plötzlich eine unsägliche Bösartigkeit in die Atmosphäre abgaben. Sie hätten gut als abschreckendes Beispiel in einer Kampagne gegen den Modernismus dienen können. Alles daran schrie förmlich: »Ein Geschenk vom sowjetischen Brudervolk.«
Einen Augenblick stand ich wie erstarrt im Regen, im Glauben, das hier wäre die Heimstatt der Philharmonie, Oskars Philharmonie. Aber die Adresse passte nicht. Als ich die Kirche umrundete, die glücklicherweise den Blick auf die Betonmonstrosität versperrte, gelangte ich in einer SeitenstraÃe zu einer bescheidenen Kulturtempel-Fassade. Trotz Oskars Vorliebe für den ultramodernen Minimalismus war dieses bildungsbürgerliche Ensemble aus Säulen und Karyatiden genau das, was ich mir unter Oskars Arbeitsplatz vorgestellt hatte. Mit all dem polierten Holz und dem glänzenden Messing an den Türen erinnerte das Gebäude selbst ein wenig an ein Musikinstrument. Drinnen gab einem das steile, gewundene Treppenhaus mit den goldglänzenden Geländern und Teppichstangen das Gefühl, man befände sich in einer Tuba, und die Bogenfenster mit dem halbmondförmigen Ausschnitt, hinter denen die Kartenverkäuferinnen saÃen, lieÃen an Orgelpfeifen denken.
Ich war rechtzeitig da und stellte mich in die kurze Schlange am Kartenschalter. Die anderen Konzertbesucher standen meist einzeln oder zu zweit herum, ein Summen von erwartungsvollen Gesprächen hing in der Luft, aber sehr gedämpft. Die Leute waren eher älteren Semesters und konservativ gekleidet, fast alle in Schlips und Anzug, manche sogar mit Weste und Fliege. In ähnlicher Umgebung in London hätte ich mich vielleicht wegen meines legeren Outfits geniert, aber hier konnte ich den internationalen Touristenbonus für mich in Anspruch nehmen. AuÃerdem hatte ich absolut keinen Zweifel, dass Oskar es mich hätte wissen lassen, wenn hier Krawattenzwang geherrscht hätte.
Vielleicht bildete ich mir das ja ein, aber trotz all der Mühen, den Anschein zu wahren, haftete der Menge etwas Schäbiges an. Viele der Herrenjacketts hatten Flicken an den Ellbogen, nach Art von Polytechnikumsdozenten, und ihre Manschetten und Hemdkrägen hatten etwas Müdes, Abgenutztes. Viele der Damenkleider glänzten an den exponierten Stellen mehr als anderswo. Und was den Kleidungsstil betraf â auch wenn ich mich da nicht so auskenne â, hatte man das seltsame Gefühl, in die Vergangenheit zu blicken, als ob das graue Geriesel am Ende einer alten Videokassette einen noch viel älteren Film darunter offenbart hätte, ein Narnia jenseits aller Erinnerung, aus einer Ãra, als die
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