Die nachhaltige Pflege von Holzböden
und Schränke und Kommoden mit Nippes vollgestellt waren. Voll war es hier, doch von einem Mitbewohner keine Spur.
Ich kehrte zu der Leiche zurück â eine undeutliche Masse im Dämmerlicht des Flurs, vielleicht ein vom Haken gefallener Mantel. Es war überraschend schwer, sie den Flur entlangzuziehen â der dicke Teppich bot weit mehr Widerstand als Holz oder Fliesen. Die zusätzliche Mühe lieà eine tiefe Müdigkeit in mir aufkommen, den grimmigen Wunsch, endlich befreit zu sein von der Leiche, dem Ãrger mit dem Boden und Oskars Wohnung, aber die Schwere, die Mühe schien mir auch angemessen für den Ernst, die Gewichtigkeit meines Unterfangens.
Im Wohnzimmer sah ich mich unvermittelt mit der Frage konfrontiert, wo ich die Leiche eigentlich lassen sollte. Mit dem Gesicht am Boden liegend, das kam mir irgendwie unnatürlich vor. Es sollte so aussehen, als wäre sie nicht bewegt worden â als wäre sie einfach an Ort und Stelle zusammengebrochen. Ich zog sie in die Mitte des Zimmers und drehte sie um. Ihr Kopf mit den blicklos starrenden Augen kippte zur Seite, als könnte sie es nicht ertragen, mich zu sehen. Ihr Arm, an dem ich sie umgedreht hatte, war kühl, und die Farbe war ihr aus dem Gesicht gewichen, was die Härchen auf ihren Wangen und die bläulichen Lippen betonte. Die Blutrose auf ihrem Schenkel war jetzt verborgen; ich erinnerte mich schaudernd an die unfertige Arbeit oben, das Wenden der Holzdielen. Nun erschien mir die Anstrengung sogar noch sinnvoller, da in irgendwelchen Ritzen noch Blutstropfen von der Putzfrau zurückgeblieben sein konnten und nur darauf warteten, mich bei eventuellen Ermittlern anzuschwärzen. Würde es so weit kommen? Nicht, wenn es mir gelang, sie hier in glaubwürdiger Form abzulegen.
Ich setzte mich aufs Sofa. Die Plastikhülle quietschte unter mir. Vor dieser Woche hätte ich sie für überflüssige Pingeligkeit gehalten, jetzt erschien sie mir als äuÃerst vernünftige SchutzmaÃnahme. Und dieser rote Teppich wirkte geradezu ideal, um Flecken zu verbergen. Triste Unordnung, war mein erster Eindruck von der Wohnung gewesen, doch bei näherem Hinsehen musste ich zugeben, dass sie gut gepflegt war. Die kitschigen Porzellanschäferinnen waren sorgfältig aufgestellt. Auf dem Lacktischchen vor dem Sofa lag kein Hauch von Staub. Neben der abgegriffenen Fernbedienung stand ein Schwarz-weiÃ-Foto von einem Mann in altmodischer Uniform mit drei Orden auf der Brust. Ein Ehemann? Vater? Bruder? Verflossener? Das Bild hätte aus irgendeinem Jahr zwischen 1930 und 1970 stammen können, aber ich war mir sicher, dass der Mann darauf tot war. Er blickte weg von der Kamera, verloren in der Zeit. Sie würde natürlich Verwandte haben, Freunde, Bekannte, Nachbarn hier im Haus â ein ganzer persönlicher Kosmos, den es jetzt nicht mehr gab. Sie würde vermisst werden, wie dieser Mann in der Uniform â würde ihn jetzt noch jemand vermissen? Verzweifelte Traurigkeit stieg in mir auf, und ich schluckte sie hinunter, konzentrierte mich auf meinen Atem, dachte, ich will nicht darüber nachdenken.
Ein Bogendurchgang mit einem weiteren Perlenvorhang führte in die Küche, wo schlecht schlieÃende Schranktüren aus altersdunkler Fichte vor sich hin schmollten. Noch etwas, das Oskars Renovierung hinweggefegt hatte, all das Schwere, Düstere, Rustikale ersetzt durch Glas, Offenheit, natürliches Licht und geschickt verborgene Stahlträger. Die Seitenwand des Wohnzimmers, an der Oskar sein Bücherregal hatte, war hier mit einer Landschaftstapete bedeckt, die einen Wasserfall im Wald darstellte, bläulich verblichen mit den Jahren. Ein Hirsch blickte edel aus der Szenerie, über eine Kommode voller Keramiktiere hinweg.
Viel Zeit, Mühe und Pflege waren für diese Wohnung aufgewendet worden â ähnlich der, die Oskar für die seine aufbrachte. Folglich musste ich die Putzfrau in einem Zustand dalassen, der von Respekt zeugte, auch wenn ich ihr bislang nichts als Respektlosigkeit entgegengebracht hatte. Wieder musste ich einen Anfall von Melancholie bekämpfen, oder vielleicht war es auch das Schuldgefühl. Ich blickte auf meine Hände in den albernen gelben Gummihandschuhen hinab, dann hinüber zu der Leiche. Sie sah noch immer nicht so aus, als wäre sie dort an der Stelle zusammengebrochen â sie lag zu gerade, und ihre Beine waren ungeschickt an
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