Die Nachhut
so weiter. Drei mussten aber noch gut sein, dazu einer fast voll in der Kamera. Vielleicht würde das reichen. Ich stopfte sie in meine Gesäßtaschen, zwei Kassetten in die Jacke und rannte Busch und Jenny hinterher, die schon fast an der Kirche waren.
Etwa zwanzig alte Leute aus dem Dorf hatten sich dort versammelt. Manche kauerten hinter einer verwitterten Feldsteinmauer. Die Mutigsten lugten am Tor um die Ecke, von der es noch ungefähr 30 Meter bis zu der kleinen, stämmigen Kirche waren. Ein alter Friedhof lag dazwischen, daneben das Pfarrhaus. Alle Augen aber waren nun auf uns gerichtet.
Busch brachte sich sofort vor dem Tor in Stellung, schwenkte einmal den Kirchturm auf und ab, dann über den Friedhof und schließlich auf die ängstlichen Rentner hinter der Mauer. Sie beobachteten uns misstrauisch und erleichtert zugleich: Wenn das Fernsehen da war, so ein weit verbreiteter Irrtum, würde vielleicht doch noch alles gut. Jenny machte sich zwar sofort ans Werk, aber die Informationen waren so widersprüchlich wie dürftig - und trotzdem ein hartes Stück Arbeit.
Woher kamen die Schüsse?
»Welche Schüsse?«
Na die Schüsse vor etwa einer halben Stunde.
»Ach, die Schüsse!«
Genau die.
»Ja schlimm, nicht wahr? Wie im Krieg.«
Alle redeten durcheinander oder an uns vorbei: Angeblich verhandle der Pfarrer gerade mit den Gangstern. Vielleicht sei er aber auch schon tot. So wie Heinz. Dann hieß es wieder, beide würden noch leben. Und die Täter?
»Welche Täter?«
Es war sinnlos. Einige Augenzeugen hatten zwei Uniformierte gesehen, andere sprachen von mindestens zehn schwer bewaffneten Männern, die den Dorfpolizisten überwältigt, gefesselt, erschossen oder erschlagen hatten. So wurde es erzählt. So hatte man es gehört. Erst bei Nachfragen stellte sich heraus, dass niemand etwas mit eigenen Augen gesehen hatte.
Einer der Dörfler winkte uns über die Straße und zeigte auf Einschusslöcher an seinem Haus, die sich von unten schräg nach oben durch den Putz zogen und in einem Holztor endeten, das der Kirche direkt gegenüber lag. So stolz war der Eigentümer darauf, dass Busch ihn mehrmals aus dem Bild winken musste. Ich zählte elf Löcher, weiter kam ich nicht, weil plötzlich die Kirchentür quietschte. Raunend zog sich das Publikum in den Schatten der Friedhofsmauer zurück. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich mich auch gern in Deckung geworfen, am besten nah bei Jenny. Aber mach das mal neben einem wie Busch, der nicht einmal zuckte, sondern sich nur langsam umdrehte und ohne jede Hektik die Kirche ins Visier nahm.
Zuerst erschien ein schmächtiges Jeanshemd in der Tür und es dauerte ein paar Sekunden, bis ich den Mann dazu erkannte: In Zivil wirkte Pfarrer Kuhn viel kleiner als im Talar und anders als gestern auf der Kundgebung hatten seine Bewegungen auch nichts Würdiges mehr - im Gegenteil: Eher linkisch sah es aus, wie er beschwichtigend beide Arme hob und senkte, als wolle er eine unsichtbare Gemeinde segnen. Das Männchen neben ihm musste der Dorfpolizist sein. Er war noch kleiner als Kuhn und auf den ersten Blick auch noch am Leben. Sein Gesicht allerdings ähnelte eher einer Totenmaske, doch da hatte ich die beiden Männer hinter ihm noch nicht gesehen.
Noch nie, nicht mal nach mehreren durchtanzten Nächten in den härtesten Techno-Schuppen der 90er Jahre, hatte ich eine so ungesunde Hautfarbe gesehen, aschfahl, eigentlich farblos, ein Ton, der, wie ihre Klamotten, einmal grün oder grau gewesen sein könnte, kaum zu bestimmen jedenfalls und doch einheitlich. Unwillkürlich musste ich an Kellerasseln denken.
Anfangs versuchten sie noch, sich hinter ihren Geiseln zu verstecken. Einer hielt permanent eine Hand vor seine Augen, als wolle er nicht erkannt werden. Der andere trug eine altmodische Schweißerbrille und überragte alle um einen Kopf, steif und gerade, eine wandelnde Statue. Seine Maschinenpistole trug er mit knappem Gurt vor der Brust, so dass ihr Lauf dem Dorfpolizisten ab und zu den Scheitel streichelte. Die Waffe des anderen dagegen baumelte in Höhe seiner Knie wie bei einem Heavy-Metal-Gitarristen, nur nicht so lässig.
Der Pfarrer schien ihre Befehle nicht richtig zu verstehen. Immer wieder drehte er sich um, während sie ihn vorwärts schoben. Einmal blieb er sogar unvermittelt stehen und bis zu uns herüber konnte man es hinter ihm in der Kirche rumpeln und fluchen hören. Dann entdeckte uns die Statue, riss die Maschinenpistole herum und zielte in
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