Die Nachhut
Schießerei. Vielleicht bekommst du ja doch noch deine Story?«
Sie schien zu überlegen.
»Kann ich noch duschen?«
Busch nickte und verschwand in seinem Zimmer.
»Auf dem Gang, links«, rief ich und stellte mir vor, wie es wäre, mit ihr unter die Dusche zu schlüpfen statt in meine klammen Sachen. Zwei Minuten später stand ich vor der Tür.
Feuchte Luft hing über dem kleinen Dorf, das aus kaum mehr als 20 Gehöften und ein paar Wiesen bestand. Bei Tageslicht war »Gabis Inn« ein schmuckloser Eigenbau aus DDR-Zeiten. Grauer Rauputz kaschierte nur notdürftig verschiedene Anbauphasen und den Mangel an Material. Die schlammige Straße davor führte in den Wald und war als Sackgasse ausgewiesen. Hundert Meter in der anderen Richtung stand eine kleine Kirche aus rotem Backstein. Die Häuser waren teilweise neu gedeckt, andere wirkten leer, fast alle hatten Risse. Der ganze Ort sah aus, als wäre er ausgestorben. Wo nachts Autos gestanden hatten, war der Sandstreifen trocken und frisch geharkt. Sonst hatte der Regen alle menschlichen Spuren verwischt. Ich hatte wenig Ahnung von Jägerei, aber so viele Schüsse hintereinander passten selbst dazu nicht.
Meine Kollegen saßen schon im Gastraum. Jenny kaute lustlos auf einem Stück Apfel. Busch dagegen schien nicht mal der zweifelhafte Leberkäse etwas auszumachen, der zu unserem Frühstück gehörte und sich an den Rändern schon deutlich nach oben bog. Mit vollem Mund fragte er: »Und?«
»Nichts, alles wieder ruhig.«
Ich goss Jenny und mir Kaffee ein, der auch schon länger auf uns gewartet haben musste, denn heiß war er nicht mehr. Es war neun Uhr. Busch mampfte, Jenny trug ihre schlechte Laune ungeschminkt vor sich her und wir wollten gerade dort weiter schweigen, wo wir gestern Nacht aufgehört hatten, als die dicke Wirtin zur Tür hereingestürzt kam.
»Heinz, die haben Heinz«, rief sie und schnappte nach Luft, »und sie schießen, sie schießen auf jeden.«
Also doch.
Die Frau war außer sich, trug ihre Kittelschürze und ein paar erbärmliche Latschen. Und weil keiner von uns sofort reagierte, ließ sie sich erstmal auf einen Stuhl fallen.
»Jetzt sind sie in der Kirche. Oh Gott, was machen wir nur? Was machen wir, wenn sie danach hierher kommen?!«
Ihr fiel ein, die Tür abzuschließen. Sie setzte sich wieder und sprang erneut auf, um zusätzlich einen Stuhl unter die Klinke zu klemmen. Danach blieb sie einen Augenblick unschlüssig stehen.
Busch nutzte die Pause, um weiterzukauen, und spülte mit einem Schluck Kaffee nach. »Vielleicht«, sagte er dann, »können Sie uns ja mal sagen, was eigentlich los ist? Am besten von vorn und in ganzen Sätzen. Geht das?«
Die Frau starrte ihn lange an und begann dabei immer schneller zu atmen, als wolle sie absichtlich in Ohnmacht fallen. Kurz bevor es so weit war, sprang Jenny auf und bugsierte sie vorsichtig auf den Stuhl unter der Türklinke.
»Ganz ruhig«, sagte Jenny und klang ein ganzes Stück behutsamer als Busch: »Tief durchatmen und dann noch einmal: Wer hat wen? Wer schießt? Und wer ist Heinz?«
Die dicke Wirtin griff dankbar Jennys Hand und nickte.
»Bewaffnete Männer. Sie tragen Uniformen, schreien und schießen. Der arme Pfarrer und - oh Gott, was machen wir nur? - seine Familie! Wir müssen doch was machen!«
Sie klammerte sich nun mit beiden Händen an Jenny, die zwar auch nur ratlos guckte, aber die richtigen Fragen stellte.
»Hat schon jemand die Polizei gerufen?«
»Ach was! Heinz ist doch die Polizei, unser ABV, ich meine: Dorfpolizist...« Danach wimmerte sie nur noch unverständlich und versank ganz und gar in ihrem mächtigen Körper.
Endlich ließ auch Busch den Rest seiner Schrippe auf den Teller fallen, wischte sich die Finger umständlich an einer Papierserviette ab und erhob sich vom Tisch.
»Na los«, sagte er, »das sehen wir uns mal an.«
Seine Kamera stand neben dem Frühstückstisch bereit. Weil die Wirtin nicht so aussah, als wollte sie sich in diesem Leben noch einmal bewegen, rückten wir sie mit aller Kraft samt Stuhl zur Seite. Sie wollte schreien, bekam jedoch keinen Ton heraus. Immerhin ließ sie dabei Jenny los und stierte nur noch mit großen Augen an die Wand hinter der Theke, wo einer ihrer Gäste sein Testament mit dem Lötkolben aufgesetzt hatte: »Mein letzter Wille: 4,5 Promille.«
Am Auto fiel mir sofort ein, dass ich vergessen hatte, über Nacht die Akkus zu laden und hörte Busch schon toben: »Wie unprofessionell, ein für alle Mal« und
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