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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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Sekunden auf der geschlossen Tür. Und der letzte Strom reichte sogar noch, um das schöne, alte Pfarrhaus je einmal längs und quer abzuschwenken.
    Hinter der Friedhofsmauer machte sich Erleichterung breit. Die Leute reckten ihre alten Glieder. Eine Frau bekreuzigte sich zweimal, bevor sie auf dem sorgfältig geharkten Sandstreifen zusammenbrach. Als sich Busch mit der Kamera über sie beugte, kam sie allerdings schon wieder zu sich und die rote Lampe neben dem Objektiv erlosch endgültig. Mein Chef sah trotzdem zufrieden aus: Die Ohnmacht würde später im Schnitt einen schönen Gegenschuss abgeben.
    Wir brauchten alle ein paar Sekunden, bis wir wieder halbwegs passende Worte fanden. »Wahnsinn«, war mein erstes, während Busch den Akku wechselte und Jenny der Oma mit ihrem Notizbuch Frischluft zufächelte.
    »Kannten Sie diese Leute?«
    Die alte Frau schüttelte verstört den Kopf, begann erneut zu beten und weil das ihre einzigen Vitalzeichen blieben, wandte sich Jenny dem nächsten Rentner zu.
    »Und Sie? Haben Sie diese Männer schon mal gesehen?«
    Nein. Kopfschütteln. Niemand kannte sie.
    »Die sind nicht von hier«, sagte der Mann mit den Löchern im Tor, »aber die Uniformen, die kenn ich wohl ...«
    »Ach?« Jenny hakte sofort nach: »Woher denn?«
    Auch ein paar andere alte Leute im Halbkreis nickten wissend und begannen zu tuscheln, manche kicherten sogar. Schließlich hielt es eine Oma mit Kopftuch nicht mehr aus.
    »SS-Männer, Kindchen«, sagte sie und rückte näher an Jennys Ohr: »Waffen-SS - das waren immer die feschesten.«
    Es fehlte nicht viel und sie hätte mit der Zunge geschnalzt. Wahrscheinlich dachte sie dann aber noch rechtzeitig an ihre dritten Zähne, vielleicht sogar daran, dass man in ihrem Alter nicht mehr für fremde Männer schwärmt - oder heutzutage in solchen Tönen für die SS. Gut möglich, dass sie sich auch gar nicht viel dachte, so inbrünstig wie sie klang:
    »Gütiger Himmel, dass ich das noch mal erleben darf.«
    Jenny sah sich verzweifelt nach uns um, kurbelte mit einer Hand in der Luft und es war völlig klar, was sie meinte: Wir sollten das Interview aufzeichnen. Aber weil Busch nichts dergleichen tat, rührte ich mich auch nicht und Jenny stöhnte leise auf, bevor sie allein weiterbohrte.
    »Was meinen Sie damit? Was dürfen Sie noch mal erleben?«
    Auf einmal flackerte der Blick der Alten. Sie nestelte nervös an ihrem Kopftuch herum und man sah ihr an, dass sie nun begann, ihre Worte vorher abzuwägen:
    »Darf man das denn jetzt wieder?«
    »Ich weiß zwar nicht genau, was sie meinen, aber ich glaube nicht - nein.«
    »Dann habe ich auch nichts gesagt«, keifte die Frau und zog sich in die Menge zurück.
    Jenny dreht sich wütend zu uns um, während die Dorfbewohner aufgeregt plapperten und uns aus Augenwinkeln beobachteten, denen nichts entging. Immerhin waren wir auch Fremde. Womöglich gab es da einen Zusammenhang.
    »Was ist denn los«, zischte Jenny, »warum hast du ausgemacht? Eben waren die Leute noch offen, jetzt werden sie langsam misstrauisch, gleich geht gar nichts mehr!«
    »Na und«, sagte Busch und fummelte demonstrativ an seiner Kamera herum, »was soll der Scheiß auch?«
    Jenny sah mich fassungslos an. Ich ahnte zwar, was Busch auf einmal hatte, hielt es nach einem Blick auf seine vibrierenden Barthaare aber erst mal für klüger zu schweigen.
    »Tolle Profis seid ihr! Findet ihr nicht, wir sollten wenigstens versuchen, mit den Geiselnehmern zu sprechen? Wenn sie bei uns ihre Forderungen stellen, das wäre doch - oder stellt euch nur vor, wir überreden sie live zur Aufgabe ...«
    Busch putzte mit einem Läppchen sein Objektiv, als hätten die letzten Aufnahmen besonders viel Schmutz hinterlassen. Sein Gesicht verriet nichts außer Abscheu. Auch für Jenny.
    »Mensch, Gerd, wir haben das exklusiv!« Sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm. »Noch!«
    Seine Augen wanderten von der Kamera auf ihre Hand und blieben dort liegen, bis sie es merkte und losließ. Erst dann sah er zu ihr auf: »Ein für alle Mal: Ich rede nicht mit Faschisten - kein Wort.« Es klang wie sein letztes und aus Erfahrung hätte ich wissen müssen: Genau das war es auch.
    Nazis waren für Gerd Busch im Wortsinn kein Thema. Er hielt das für »aufgebauschte Langeweile von ein paar hirnlosen Jugendlichen«, die sich vor Reportern gern aufspielten, dadurch wieder andere inspirierten und so weiter. Auch der ganze alte Spuk, davon war er überzeugt, wäre lange vorbei, wenn Leute

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