Die Nachhut
großes Theater daraus, dass er besser informiert war als ich. Dafür hätte ich ihm schon wieder um den Hals fallen können und schämte mich doch gleichzeitig dafür.
»Wie läuft es sonst so am Park?«
»Es läuft«, log ich, denn in Wahrheit fühlte ich mich nirgendwo einsamer als in meinem neuen Büro am Treptower Park.
Eine halbe Etage der Berliner BKA-Dienststelle hatte die SoRex bekommen, dazu zwei Sekretärinnen, einen Fahrer und drei Personenschützer aus dem Regierungskontingent, die ich gleich wieder zurückgeschickt hatte. Zwar sollte ich mir neben Schillers Spezialisten auch noch selbst fünf Leute aussuchen dürfen, doch von den acht Kandidaten meiner Wunschliste, die sich wirklich in der Szene auskannten, hatten sechs sofort abgesagt. Die letzten traute ich mich gar nicht mehr zu fragen.
»Das Interview mit Mattis Leuten musst du unbedingt nachholen«, sagte Wolf, und ich konnte seinen Sprüngen kaum folgen.
»Welcher Matti?«
»Na Matti, Matthias Jung, der dürre Hampelmann mit der dicken Brille. Wir haben ihn früher immer Lupe genannt...«
»Ach Lupe - gibt’s den auch noch?«
»Und ob! Er ist jetzt Chefredakteur bei Kanal 5 und hat eine richtig große Reportage versprochen. Wir müssen das richtig kommunizieren, dich und die ganze Truppe, wenn diese Geschichte hier vorbei ist. Eine Frau im Kampf gegen Nazis. Das kommt auch im Ausland gut. Glaub mir: Kommunikation ist alles.«
»Kommunikation, aha.«
Diese Disziplin hatte nie zu seinen stärksten gezählt, jedenfalls nicht privat. Und Schiller hatte auch nur etwas von einem Interview gesagt, kein Wort von einer Jubel-Reportage.
Wolfs Handy klingelte. Ich nahm ihm Serviette und Kaffeetasse ab wie eine aufmerksame Ehefrau. Das hätte er immer haben können! Aber vermutlich war Sissy dran, seine Frau.
Mehrere Minuten stand ich mitten im Konferenzsaal, abwesend und anwesend zugleich, ein Fremdkörper, auf dem man sein Geschirr abstellen konnte. Ich dachte an Hanka, die niemand hereingebeten hatte - nicht einmal ich selbst - und alle anderen Freunde, die mich nun für ein Bullenschwein hielten, süchtig nach Anerkennung, selber schuld. Ich dachte an Wolfs Frau, ihre beiden süßen Kinder und meine eigenen, für die es nun endgültig zu spät war. Schließlich dachte ich sogar einen Augenblick an Schiller, als wären Kollegen und Karriere ein Ersatz dafür. Nur daran, wie ausgerechnet ich einen Fall lösen sollte, den keiner der Experten hier im Raum verstand und der womöglich internationale Verwicklungen nach sich zog, dachte ich lieber nicht.
Eine aufgeregte Gruppe Männer rauschte durch die Tür, mindestens zehn Wichtigtuer im Gleichschritt, allen voran der BKA-Chef. Er zupfte Wolf am Ärmel und wirkte dabei allein durch den Größenunterschied wie ein Kind am Rockzipfel seiner Mutter. Wolf beugte sich zu ihm herab und als sein Gesicht wieder aus der grauen Anzugmasse auftauchte, war seine Haut so weiß wie sein Haar. Einem Leuchtturm gleich sah er sich nach mir um. Ich hielt seinen Teller hoch. Er bahnte sich den Weg.
»Das war Schiller«, flüsterte er fahrig, »jetzt habt ihr auch noch eine Geiselnahme, ganz in der Nähe ...«
Wir? Noch bevor ich mit den Achseln zucken konnte, rief Wolf Jäger einen seiner Referenten zu sich und ordnete an, Frau Thorwart bräuchte sofort einen Hubschrauber. Einen Einwand aus der zweiten Reihe bügelte er barsch ab, dann sagte er laut zu mir: »Frau Thorwart, wir verlassen uns auf Sie!«
Es klang, als könnte er sich nicht entscheiden zwischen Befehl und Bitte. Und mit großen Schritten war er längst aus dem Saal, als mir wieder einfiel, wer diese Frau Thorwart war.
Zuerst schob ich es auf die schwere Flüssigkeit, die in meinem Kopf hin und her schwappte, dann aber hörte ich es wieder: Es kam von draußen und klang, als würde jemand mit einem Plastiklineal auf den Tisch hauen, fünf-, sechsmal und ganz kurz hintereinander. Ich saß aufrecht in irgendeinem Bett, sah aus irgendeinem Fenster einen weißen Van auf irgendeiner Dorfstraße stehen und wusste nicht sofort, wo ich war.
Auf dem Flur traf ich Busch. Das Handtuch reichte nicht ganz um seine Hüften. Er musste es halten und tropfte noch. Aus seinem Zimmer plärrte der Fernseher.
»War das deine Glotze?«
»Nein«, sagte er, »das waren eindeutig Schüsse.«
Ich klopfte am Zimmer 3. Nach dem zweiten Versuch meldete sich Jenny durch die Tür und schien immer noch beleidigt.
»Was ist denn?«
»Nichts weiter. Wahrscheinlich nur eine
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