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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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unsere Richtung.
    Die Dorfbewohner, eben noch von der Kamera ermutigt, duckten sich schnell wieder hinter die Friedhofsmauer. Busch aber rührte sich nicht, sondern zielte eiskalt mit dem Teleobjektiv zurück. Leise summte das Zoom.
    »SS-Runen«, flüsterte er.
    »Was?!«
    »An den Kragenspiegeln und ein Totenkopf an der Mütze.«
    Piraten. Das war mein erster Gedanke. Ich wusste nicht, was Kragenspiegel sind, und mit bloßem Auge waren solche Details sowieso nicht zu erkennen. Mützen hatten sie auf, das konnte ich sehen: Der mit der Hand vor den Augen trug so etwas wie ein Käppi, der Steife mit der Schweißerbrille eine Art verbeulte Polizeimütze, genau wie die zwei Figuren, die zuletzt in der Kirchentür auftauchten. Eine davon saß auf einem Sessel, an dem zwei Räder mit viel zu dicken Reifen montiert waren. Der vierte Mann sah aus, als sei er früher mal ein kräftiger Kerl gewesen. Trotzdem hatte er ganz schön zu tun, den Sessel über die Schwelle des engen Portals zu wuchten.
    Kaum waren sie draußen, begann der Mann im Rollstuhl laut zu krächzen. Es klang wie ein Befehl und ging wahrscheinlich um uns, denn danach schauten alle in unsere Richtung.
    »Die sind mindestens 80«, sagte Busch.
    Ich zählte nur vier.
    »Und der alte Sack im Rollstuhl macht den Chef.«
    Erst da verstand ich, was er meinte: So langsam und schwerfällig, wie sie sich bewegten, sahen sie tatsächlich alle ziemlich gebrechlich aus. Nur der Typ mit der Hand vor den Augen wirkte etwas jünger. Deshalb musste er vermutlich auch das meiste Gepäck tragen, mehrere Stahlhelme und Taschen, beladen wie ein Kameraassistent. Die eckigen Bewegungen der Statue ließen auf steife Gelenke schließen. Der Rollstuhlfahrer verbarg sein linkes Auge hinter einer schwarzen Klappe, sein kräftiger Pfleger zog ein Bein nach. Piraten eben.
    »Akku«, zischte Busch.
    »Bist du verrückt? Wir sollten uns lieber verpissen!«
    Das fand der Piratenkapitän offenbar auch. Er schrie immer lauter und zeigte auf uns. Deutlich konnte ich die Wörter »Russen« und »Panzerfaust« verstehen. Dann mischte sich der Pfarrer ein und bat uns mit fester Stimme, die Hände zu heben.
    Busch drehte noch fünf endlose Sekunden weiter, bevor er die Kamera langsam sinken ließ und wenigstens seine freie Hand in die Luft streckte. Ich machte es ihm schnell mit beiden Händen nach, während Busch heimlich weiter drehte. Wie zufällig verdeckte er mit einem Ärmel das blinkende Rotlicht aber folgte jeder Bewegung des kleinen Trupps, der sich nun in Zeitlupe dem Friedhofstor näherte, bis der Opa im Rollstuhl wieder rüde Laute ausstieß, die der Pfarrer übersetzte.
    »Bitte gehen Sie noch ein paar Schritte zurück! Danke!«
    Pfarrer Kuhn hörte sich immer noch relativ gelassen an. Er sah auch so aus und war mit Abstand der lebendigste Mensch auf diesem Friedhof. Vermutlich hätte er zwei der Gangster einfach umschubsen können und wäre hinter der Mauer gewesen, bevor überhaupt einer reagiert hätte. Aber wahrscheinlich hatte es mit seinem Beruf zu tun, dass er trotzdem bei Heinz blieb, der schwitzte und zitterte und jeden Beistand zu brauchen schien.
    »Was ist jetzt mit dem Akku? Mach schon!«
    Busch war wirklich verrückt geworden und klang gleichzeitig so ungeduldig, als müsste ich mich auf der Stelle entscheiden, was mir lieber war: Mein Leben oder mein Lebensunterhalt. Kurz entschlossen überließ ich das dem Schicksal und tat, als hätte ich nichts gehört.
    Während wir uns Schritt für Schritt zurückzogen, schlurften sie uns im gleichen Tempo entgegen, so dass der Abstand stets bei etwa 20 Metern blieb. Kurz vor dem Tor bog die merkwürdige Prozession Richtung Pfarrhaus ab. Die Geiseln liefen weiter voran, dahinter der Hinkende mit dem Mann im Rollstuhl und der Gepäckträger. Nur der Steife ging nun rückwärts und fuchtelte mit seiner Waffe aufgeregt zwischen Tor und Kirche hin und her, als müsste er mehrere Kamerateams in Schach halten.
    Zweifel waren erlaubt, ob er uns durch seine fast schwarze Brille überhaupt sah oder nur bluffte. Zum Test bewegte ich vorsichtig eine Hand in der Luft. Er reagierte nicht. Ich wackelte heftiger, begann zu winken und als er auch das nicht bemerkte, griff ich schließlich mit der anderen Hand vorsichtig in meine Hosentasche und zückte einen frischen Akku.
    In der Tür zum Pfarrhaus erschien kurz ein Frauenkopf, dann verschwanden die Männer darin. Wie sich das für einen sauberen Schnitt gehört, verharrte Busch noch drei

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