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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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war, seinetwegen auch das mit der Cola.
    Seine Leute eskortieren mich auf die Bühne. Die Männer im Saal beginnen zu applaudieren, erst ein paar, dann alle, schließlich stehen sie sogar von ihren Plätzen auf.
    Woher ich die Worte nahm und welche ich sprach, weiß ich schon jetzt, da ich diese Zeilen notiere, nicht mehr genau, aber ich begann zu reden und nach einem Lauter-Rufer, die es wohl zu jeder Zeit bei jeder Veranstaltung gibt, ging es wie von selbst.
    Beinahe hätte ich den Kaffee wieder ausgespuckt, als der Mann mit dem Kopfhörer plötzlich auf Laut stellte:
    Die beiden Kollegen vom Verfassungsschutz hatten uns nur mit einem stillen Nicken begrüßt, Schiller und mir je einen Becher lauwarmen Kaffee in die Hand gedrückt, dann waren wir auch schon mittendrin in einer dieser Saalveranstaltungen, von denen ich noch nie verstanden hatte, wieso man sie nicht gleich verbietet, wenn man schon von ihnen weiß und sogar alles mithören kann.
    Die Lauscher hatten sich im Rohbau eines Einfamilienhauses eingenistet, keine hundert Meter von der Gaststätte entfernt. Nach ihren Informationen waren etliche regionale NPD-Führer anwesend, außerdem mehrere hundert Jugendliche aus der Gegend und - wenn es stimmte, was irgendein zwielichtiger V-Mann gemeldet hatte - auch unsere Zielpersonen. Es stimmte.
    Die Stimme, die ich hörte, kam mir schon fast vertraut vor. Zwar wusste ich nicht, welcher der vier da drüben eine Rede hielt, aber eins stand fest: sein Talent. Er sprach die Zuhörer direkt an, stellte mehr Fragen als Antworten in den Raum und vergaß auch die rhetorischen Pausen nicht. Die ganzen alten Demagogentricks hatte er drauf, die gerade bei Blödmännern mit extra langer Leitung und extra kurzen Haaren immer wirkten.
    »Ich sehe fast nur junge Leute hier«, sagte er, »und da frage ich mich: Warum redet ihr ständig von damals? Wieso lebt ihr in der Vergangenheit? Was meint ihr damit, wenn auf euren Jacken steht, dass ihr stolz seid, Deutsche zu sein? Meint ihr damit Ehre, Fleiß, Sauberkeit - unsere Stärken? Wenn ja, warum zeigt ihr sie nicht? Sitzt hier rum und trinkt Bier, während das Land in einem unüberschaubaren Chaos versinkt. Stolz auf der Jacke ist wie Mut auf dem Wunschzettel: Niemand bekommt das geschenkt. Wenn es eine Zukunft gibt, gehört sie euch. Wartet nicht, bis sie kommt! Wir haben selbst lange genug gewartet. Und noch eins: Anständige Deutsche verkleiden sich nicht als Russen und zünden türkische Geschäfte an! Das ist feige und unwürdig.«
    Mit offenem Mund hörte ich den Beifall tosen. Dieser alte Mann redete, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht. Manche seiner Sätze hätten genauso gut von einem Antifaschisten stammen können, andere wieder klangen, als hätte er gerade erst sein faschistisches Propaganda-Diplom gemacht. Er sprach über Landesverrat und den Frühling, von Europa und - ich hatte mich wirklich nicht verhört - Coca-Cola. Sein Publikum schien ähnlich verwirrt und jubelte sogar, wenn er es beschimpfte: Nur Idioten hätten etwas gegen ein geeintes Europa. Das sei doch exakt die Idee der Vorväter: Ein Kontinent im Geiste Karl des Großen, ohne Grenzen vom Ural bis zum Atlantik, naturgemäß geführt von der zentralen größten auserwählten Nation ... Was es denn Europäischeres geben könne, fragt er, als beispielsweise die Waffen-SS mit ihren freiwilligen Kämpfern aus mehr als einem Dutzend Nationen, die alle für die gleiche Sache streiten? Dann drohte er noch einmal unverhohlen mit dem Endsieg: »Die ewige Schlacht wird nur gewinnen, wer am Ende immer noch steht. Wer nicht umkippt und fest an die Worte des Führers glaubt, selbst wenn es zeitweise anders scheint: Es kann nur einen Sieger geben und es kommt der Tag...«
    Mir kam es hoch. Keine Minute länger konnte ich mir das anhören, knallte meinen Kaffeebecher auf den Tapeziertisch, der schon unter der Last der Abhörtechnik ächzte, und forderte Schiller mit einem Handzeichen auf, mir zu folgen.
    »Sie können ruhig reden, die hören Sie nicht«, sagte einer der Verfassungsschützer und grinste.
    »Danke, ich habe genug gehört. Wir schlagen sofort zu.«
    »Moment!« Er zog das Wort in die Länge und starrte Schiller hilflos an. »Das wäre jetzt aber keine so gute Idee!«
    Schiller sah auch nicht begeistert aus, sagte aber nichts.
    »Das werden wir ja sehen. Wie viele Beamte haben wir zur Verfügung? Ist die Kneipe vollständig umstellt?«
    »Umstellt?« Der Verfassungsschützer lachte

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