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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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ich es nicht besonders respektvoll von ihm, mich seinen Lieben zu nennen und mir gleichzeitig zu unterstellen, ich würde einen falschen Namen benutzen.
    Mein Name sei von Jagemann, stelle ich noch einmal unmissverständlich klar, und dass ich stolz darauf bin, sage ich auch.
    Na dann, zischt Kiefer, herzlichen Glückwunsch!
    Die anderen lachen leise. Ein Anflug von Ironie in seiner Stimme ist auch mir nicht entgangen. Aber nun übernimmt Otto wieder und fragt, wie oder wo wir die Reichsführung erreichen.
    Also wenn wir das nicht seien, sagt Kiefer und erntet diesmal offenes Gelächter - nach seinen letzten Informationen habe sich der Reichsführer als stinknormaler Feldwebel der Wehrmacht zum Feind abgesetzt und sich feige ergeben.
    Das ist ein dicker Hund! Otto scheint seinen Ohren auch nicht zu trauen oder hat es einfach nicht gehört. Jedenfalls sagt er nichts mehr. Der Reichsführer SS galt sicher nie als großer Feldherr. Wie er mit der Heeresgruppe Weichsel baden ging, ist mehr als ein Gerücht. Aber niemand hätte je gewagt, so offen despektierlich über ihn zu reden.
    Ermutigt durch unser entsetztes Schweigen und den Beifall aus der Runde setzt Kiefer sofort nach und will nun in einem provozierenden Ton wissen, wieso wir diese Judenbrause tränken?
    Judenbrause? Josef Stahl verschluckt sich beinahe an seiner Cola. Und endlich ist auch Otto wieder voll da: Er habe das Gefühl, sagt er, der Standartenführer vergreife sich gerade gewaltig im Ton, und empfiehlt ihm nachdrücklich Mäßigung. Unwillkürlich spannt Kiefer den Rücken. Sein Gesicht läuft rot an, aber ich fürchte, es ist mehr Zorn als Scham.
    Nun, stammelt er, Coca-Cola sei nun mal der Inbegriff für die Besatzer, das Blut der Feinde gewissermaßen. Eine Schande, daß dieser Dreck hier überhaupt ausgeschenkt werde.
    Die jungen Zuhörer pflichten ihm murmelnd bei. Das Gelächter immerhin ist auch ihnen vergangen. Dafür treffen nun den Wirt vorwurfsvolle Blicke, der betreten zu Boden schaut.
    So ein Unsinn, denke ich: Coca-Cola war doch überall dabei. Ich sehe die Reklame noch vor mir. Sie ergänzte sich wunderbar mit den Farben des Reiches. Damals zum Beispiel auf der Tribüne mit Vater, 1936, Berlin - weißt Du das auch noch? Ein Meer aus rot-weißen Bannern. Alle Funktionärskinder durften trinken, so viel sie wollten. Hinterher war uns allen schlecht...
    Was soll daran schändlich sein, frage ich Kiefer schließlich laut, und alle schauen mich mit großen Augen an: Auf Coca-Cola sei doch immer Verlaß gewesen, Unterstützer der Jugend, bei allen großen Massenveranstaltungen dabei. Coca-Cola eiskalt! Hatten sie so nicht sogar in unseren HJ-Einsatzbüchern geworben?
    Dem Standartenführer fällt die Erinnerung sichtbar schwer. Mir dagegen fällt der Zeitungstisch ein und ich greife mir den alten Beobachter , blättere ihn hastig durch, auf der vorletzten Seite werde ich fündig: Hier - dabei halte ich sie Kiefer vor die Nase - die Coca-Cola-Nachrichten. Das sei eine Anzeige, dafür werde Geld bezahlt. Ob er wirklich glaube, frage ich spitz, die Parteizeitung lasse sich von amerikanischen Juden finanzieren?
    Kiefer sucht seine Brille. Seine jungen Lakaien beugen sich über die Annonce und tun gerade so, als könnten sie es kaum glauben. Sicher, ich kann mich auch entsinnen, daß die braune Brause später wieder aus den Regalen verschwand (warum eigentlich?). An der Anzeige aber gibt es nichts zu rütteln.
    Kleinlaut gibt Kiefer zu, das hätte er wohl vergessen. Seine Kameraden schauen uns nun auch wieder mit anderen Augen an. Ich habe ihren Respekt zurückerobert, lehne mich zurück und streife mit den Augen erneut das Klavier. Ob mich das Konservatorium noch nimmt nach dem Krieg? Fast hatte ich mich von diesem Gedanken schon verabschiedet. Jetzt ist er plötzlich wieder da.
    Von hinten flüstert der Anzugträger seinem Brigadeführer etwas ins Ohr, ohne mich dabei aus den Augen zu verlieren. Kiefer verkauft es trotzdem sofort als seine Idee und schlägt vor, einer von uns solle doch ans Pult gehen und zu den jungen Leuten sprechen. Die würden nach echten Erfahrungen lechzen und seien dankbar für jedes wahre Wort.
    Ja. Genau! Sprechen Sie zu uns! Alle stimmen ein und bedrängen vor allem Otto, der sich erst geschmeichelt ziert und dann doch kneift: Los, Jagemann, befiehlt er mir, an die Front!
    Na großartig! Auf meine Frage, worüber ich denn reden soll, antwortet Kiefer, das sei völlig egal, Hauptsache authentisch, so wie es wirklich

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