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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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etlichen Gewächshäusern am östlichen Rande Fallings und beliefere mehrere Hotels. Mir schien, dass meine Nachfragen weniger auf Unwissen als auf Unlust seitens des Hotelmanagers stieß, eines übrigens aus Japan stammenden, vielleicht sechzig Jahre alten Mannes, der ungeachtet seiner vorzüglichen Deutschkenntnisse und perfekten Aussprache alle Gäste zu irritieren schien. Man erwartete hier offenbar eine einheimische Leitung. Ich hatte an ihm nichts auszusetzen – außer dass seine Unnahbarkeit seine Höflichkeit übertraf.
    Meinen zweiten Besuch auf der Insel trat ich schon mit einer Art Vertrautheit an, so als gehörte ich, was durch nichts begründet war, dorthin, gemeinsam mit dem gealterten Terroristen Hans Stieftaal und jener Anna, die ich mir auf dem Gipfel des Berges erträumt hatte wie eine Mariengestalt. Der Kahn lag am Ufer, als ich zum Steg kam, vertäut, mit eingelegtem Ruder. Ich wartete hinter der Schranke und hielt Ausschau nach dem Fährmann. Der Himmel war morgens noch klar gewesen, von jener grauen Klarheit, die wir inzwischen als »blauen Himmel« zu bezeichnen uns angewöhnt haben. Gegen Mittag hatten schieferfarbene Wolken sich wie Schlieren von Norden her vor ihn geschoben, sich zu einer sich dunkelnden Masse verdichtet, und jetzt fing es an zu regnen.
    Die ersten Tropfen ließen im Wasser des Sees konzentrische Ringe wachsen, die sich überschnitten und mit der zunehmenden Menge ihre Segmente wechselseitig zerstörten, bis nur eine kleingehämmerte Unruhe blieb, aus der jetzt, da der Regen dicht fiel, ein helles Rauschen entstand, von plitschenden Lauten durchsetzt. Am Ufer löste sich die Wasserunruhe in die einzelnen Tropfen auf, deren Eintritt in den See kleine Gegentropfen hervorrief, wie gläserne Spielfiguren spritzten sie von der Oberfläche des Sees empor und fielen zurück. Sie erinnerten mich an winzige Lebewesen: ein Wasserbild unaufhörlichen Werdens und Vergehens. Pausenlos tauchten die kleinen Wesen auf, versuchten, sich in der Luft zu halten, fielen zurück, lösten sich auf. Durch die Regenschnüre, die sich zwischen Himmel und See spannten, sah ich zur Insel hinüber. Sie lag wie unbewohnt hinter Schleiern. An dem Pfosten, dessen gegabeltes oberes Ende der Schranke zur Auflage diente, entdeckte ich einen würfelförmigen Kasten mit einem Schaltknopf an der Seite. Ich hielt ihn für eine Gegensprechanlage und drückte den Knopf. Sogleich erklang aus dem Innern des Kästchens ein heller Glockenton, im Sekundenabstand erscholl er über den See, erstaunlich laut, aber nicht aufdringlich. Ich suchte nach einer Möglichkeit, das Geläut abzustellen, fand an der Unterseite des Würfels einen weiteren Knopf, der die gewünschte Stille bewirkte. Da auf den Glockenruf hin weder am Ufer noch auf der Insel sich irgendjemand einstellte, stieg ich in den Kahn, löste das Bugseil, nahm das Ruder auf, stellte mich auf das Querbrett am Heck und trieb mit ruhigen Schlägen, nun schon fast geübt, mein Gefährt durch den Regen auf die Insel zu.
    Ganz durchnässt gelang es mir beim zweiten Versuch, den Kahn nahe genug an den Inselsteg zu steuern und anzulegen, um, den Strick in der Hand, auf die Planken zu springen. Mir war kalt geworden, der Mantel vollgesogen schwer, das Haar triefend. Ich eilte den Pfad zum Haus hinauf, die Treppe zum Haupttor. Es war verriegelt, und auf mein Klopfen blieb im Haus alles still. Ich besann mich auf den Weg, den Stieftaal zwei Tage zuvor genommen hatte, ging um das Haus herum und fand die rückwärtige Pforte unverschlossen, trat ein, lief durch den Gang, stieg auf der Wendeltreppe in die mir schon vertraute Küche. Seltsam leer und sauber lag sie vor mir, als sei sie noch nie benutzt worden. Ich ging leise, wie über verbotenes Terrain, zur Tür, stand in der Halle, zugleich riss draußen hinter den hoch angesetzten Fenstern die Wolkendecke auf, und farbiger als bei meinem ersten Besuch erhoben sich die Figuren im Glas, gegürtete Helden, Frauen in langen Gewändern, Stirnreif, strenge Gesichter, kniendes Gesinde, aufgestützte Schwerter, einen Zwerg, und langsam erkannte ich, dass in den bis unter die Kuppel des Treppenhauses reichenden Fenstern eine Szenenfolge in die Scheiben gemalt war: das Nibelungenlied, das Epos als eine Passion. Darunter ein geschnitzter, die Halle umlaufender Fries, Sonnenräder und Spangen, Runen und Schnallen und Schwerter und Speere ineinander verflochten. Der Kranz trennte die im Zenit zu spitzen Bögen geschlossenen, an ihrem

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